Ötztaler Radmarathon 2017

 Anreise und Präparation

Um dem großen Anreiseverkehrschaos zu entgehen und uns das Profirennen am Freitag nicht entgehen zu lassen, reisten BW, MW und ich bereits am Donnerstag an. Nach einem leckeren Frühstück in unserer überragenden Garni brachen wir am Freitagvormittag wohlgenährt in Richtung Kühtai auf, um die Profis anzufeuern und uns über ihr Schneckentempo zu mockieren.

Vai Damiano!

Das Wetter war gut, meine Beine schlecht, mein Puls hoch. Ich hatte Angst krank zu werden und ging BW sowie MW mit meiner Hypochondrie auf die Nerven. Um sicherzugehen, dass es nur an der Höhe oder Nervosität lag, belastete ich mich hinauf zum Kühtai ziemlich aus. Wenn ich schon krank werden sollte, dann bitte so, dass an einen Start nicht zu denken gewesen wäre.

Glücklicherweise wurde ich nicht krank, sondern am Samstag nur von merklich schweren Beinen geplagt. So kam ich zumindest nicht auf die Idee, noch eine Vorbelastung zu fahren und widmete mich mit MW ganz der Präparation von Verpflegungsbeuteln, Trikots und Rädern.

Die Verpflegungsbeutel. In Nachhinein zu viel und vor allem zu viel feste Nahrung.

Um eine kleine Runde, bei der ich mehrmals nervös meine Pedalplatten verstellte und vergeblich versuchte, meiner Schaltung im kleinsten Gang das Rasseln unter Last abzugewöhnen, kam ich trotzdem nicht herum.

Mit BWs Hilfe kam ich schließlich darauf, dass mein Schaltauge locker war, was die Situation zumindest verbesserte. Derart nervös war ich noch nie vor einem Rennen gewesen und daher fand ich es umso bitterer, dass ich aus dem zweiten Startblock ins Rennen gehen musste, da andere Resultate als solche vom Ötztaler nicht als Referenzen anerkannt wurden.

 

ÖRM 2017

Noch vor dem Weckerklingeln war ich um 4:25 Uhr auf, um meine vorbereiteten Haferflocken, Datteln und Bananen zu vernichten. Nachdem alles vertilgt war, hätte ich das Essen wahrscheinlich besser eingestellt. In der Hoffnung meine Nerven mit mehr Essen beruhigen zu können, setzte ich meine Fresserei jedoch noch eine ganze Weile am Frühstücksbuffet der Unterkunft fort. Infolgedessen begab ich mich mit gediegenem Ranzenspannen eine Stunde vor Rennbeginn zum Start, um in der Kälte zu frieren und all jene zu beneiden, die aus dem ersten Startblock heraus starten durften.

Drei Minuten nachdem die Spitzengruppe auf die Strecke gegangen war, durfte ich das Rennen ebenfalls endlich in Angriff nehmen und konzentrierte mich darauf, in der Abfahrt bis Ötz möglichst viele Positionen gutzufahren.

Trotz meiner Bemühungen kam das Führungsfahrzeug jedoch nie in Sicht. Entgegen aller Warnungen, dieses Rennen behutsam anzugehen, fuhr ich den ersten Pass des Tages für meine Verhältnisse schnell hinauf. Meine Beine fühlten sich zumindest nicht so übel an, wie bei der Besichtigung des Anstieges zwei Tage zuvor. Nachdem ich oben meinen ersten Verpflegungsbeutel erhalten und mir hastig etwas in den Mund gestopft hatte, ging es in die Abfahrt und in Richtung Brennerpass. Die Zusammenarbeit in der Gruppe funktionierte leider überhaupt nicht. In meiner kompletten Ahnungslosigkeit die folgenden Anstiege betreffend ließ ich mich jedoch nicht nur zu Führungsarbeit sondern auch noch zu einem vollkommen idiotischen Ausreißversuch verleiten.

Ich aß regelmäßig und hatte wohl noch nie einen so vollen Bauch während eines Rennens. Trotzdem waren meine Trikottaschen noch gut gefüllt, ehe ich an der zweiten Verpflegungsstation des Tages am Brennerpass neue Flaschen und Nahrung in Empfang nahm. Mit vollgestopften Taschen nahm ich daher die Abfahrt in Richtung Jaufenpass in Angriff. Obwohl ich weiterhin von meinen Köstlichkeiten naschte, fuhr ich den Jaufenpass sicherlich mit einem halben Kilogramm Proviant in den Taschen hinauf. Eingangs des Anstieg waren meine Beine noch so gut, dass ich das Tempo in der Gruppe etwas forcierte und zunächst mit zwei Mitstreitern etwas vorausfuhr. So langsam merkte ich doch, dass ich den Kühtaisattel (zu) schnell erklommen hatte, sodass mich bis zur Passhöhe an der Verpflegung wieder eine Handvoll Fahrer eingeholt hatten.

Bild: Sportograf

Verzweifelt versuchte ich die erhaltenen Gels und Riegel noch in meinem Trikot unterzubringen, etwas davon zu essen und mich gleichzeitig auf die Abfahrt zu vorzubereiten. Es klappte eher mittelmäßig, jedoch so gut, dass ich mich eingangs des Timmelsjoches wieder dazu imstande sah, ein paar Fahrer, die sich vor mir in Sichtweite befanden, zuzufahren. Von diesem Gefühl beschwingt, beschloss ich die lange überfällige Pinkelpause weiter aufzuschieben. Langsam kam ich der Gruppe näher und rechnete damit, diesen Rhythmus weiter durchhalten zu können.

Nach ungefähr 300 von knapp 1800 Höhenmetern musste das Fressen in meinen Trikottaschen jedoch um 15 kg schwerer geworden sein, denn ich kam nicht mehr vom Fleck. Meine Schenkel verweigerten den Dienst. Vergeblich betätigte ich meine Schaltgriffe in der Suche nach einem leichteren Gang. Doch die Hebel liefen einfach ins Leere. Das verschwundene Rasseln meiner Schaltung war auch ein Indikator dafür, dass sich meine Kette mittlerweile ohne Last und ausgesprochen geschmeidig an die Ritzel schmiegte. Panik überkam mich. Auch im Wiegetritt ging nichts mehr. Ich fühlte mich außerstande, dieses Rennen noch in Würde beenden zu können. Mein Wille war gebrochen und wo war meine Leidensfähigkeit geblieben? Ich war am Ende. Absteigen kam jedoch nicht infrage, denn ich vermutete, dass dies ein endgültiger Schritt gewesen sein würde. So musste die Pinkelpause eben weiterhin warten.

Unglaublich langsam fuhr ich weiter und träumte von einer Kompaktkurbel. Unzählige Fahrer überholten mich, gefühlt mit der doppelten Geschwindigkeit. Auch BW kam vorbei. Er sah locker aus und fragte fürsorglich, ob ich einen technischen Defekt erlitten hätte. Außer meinem Körper funktionierte jedoch noch alles wie zuvor. Bevor er sich aus dem Staub machte, faselte dieser Halunke dann noch etwas davon, dass es hier für alle hart sei. Der hatte gut reden und ein 34er Kettenblatt, das ich ihm am liebsten augenblicklich vom Rad geschraubt hätte.

Inzwischen war ich entschlossen, das Rennen zumindest zu Ende zu fahren – auch wenn es mich noch fünf Stunden gekostet hätte, diesen verdammten Berg zu erklimmen.

Wieso war ich nicht vernünftig genug gewesen, das Rennen lockerer anzugehen? Dieser Frage widmete ich mich nun in aller Ausführlichkeit. Denn es lagen noch 20 km bergan, die mir genug Zeit zur kritischen Selbstreflektion bieten sollten, vor mir.

An der nächsten Labestation war ich das erste Mal in meinem Leben dazu imstande, eine Dose RedBull auf ex trinken und nicht nach dem ersten Schluck kotzen zu müssen. Mein Körper hatte eindeutig kapituliert. Trotzdem traf mich beinahe der Schlag, als das nächste Schild verkündete, dass die Passhöhe noch 11,9 km entfernt war. Inzwischen war ich mir sicher, dass ich mindestens zehn Stunden dafür benötigen würde und erging mich hemmungslos in Selbstmitleid. Vor mir türmten sich nun unzählige Kehren und Geraden auf, sodass ich mich mehr oder weniger erfolgreich dazu entschloss, nur noch auf die Straße vor mir zu starren. Leider bemerkte ich doch noch ein Schild, das den Gipfel in 7,4 km ankündigte und mich wieder in tiefe Depressionen stieß.

The struggle is real. Bild: Sportograf

Von Kehre zu Kehre kroch ich diesen verdammten Berg hinauf, der für mich genau das bereithielt, was mir im Falle eines zu schnellen Starts prophezeit worden war – eine absolute Lehrstunde oder auch Leerstunde. Letztendlich wurde es eine der schon zu Schulzeiten verhassten Doppelstunden ohne Pause. Der Lehrplan sah die ausgiebige Auseinandersetzung mit vollkommen freiwillig in Kauf genommenen Luxusproblemen vor.

Der stetige Strom an Fahrern, die mich überholten wurde langsam geringer. Ich war jedoch nicht sicher, ob das daran lag, dass ich mich wieder etwas besser zu fühlte oder ich es einfach nicht mehr wahrnahm. Tatsächlich holte ich jedoch kurz vor dem Tunnel in der Nähe des Gipfels das erste Mal seit Ewigkeiten einen Fahrer ein.

Meine Beine schienen langsam zurückzukehren. Wenn ich mich richtig erinnere, brachte ich meinen Umwerfer im Angesicht des lange ersehnten Gipfelsturms sogar dazu, die Kette auf das große Blatt zu hieven. Endlich hatte ich die Passhöhe erreicht. Einzig die gefürchtete Gegensteigung zur Mautstation lag noch vor mir.
Auf der Abfahrt ging ich kein Risiko ein, konnte im Anstieg zur Mautstation wieder einen guten Rhythmus fahren und blieb weiterhin von Krämpfen verschont, die augenscheinlich einige Fahrer an dieser Stelle plagten.

Auf der letzten Abfahrt wollte ich meine Position behalten, aber trotzdem keinerlei Risiko mehr eingehen. Dies gelang und so kam ich knapp unter 7 Stunden 49 Minuten ins Ziel. Die nächste Destination waren Obst und Studentenfutter im Zielbereich.

Fazit

Der Ötztaler Radmarathon ist zweifelsohne der härteste und spektakulärste Radmarathon, den ich bisher bestritten habe. Von der Kommerzialisierung der Veranstaltung über die gesperrten Straßen bis zur Inszenierung der Zieleinfahrt ist der ÖRM einfach perfekt organisiert. Ganz Sölden, so erschien es mir, befand sich in einer Radsportblase. So war ich diesem Zirkus bereits vor dem Start erlegen und nahm mir fest vor, erneut an den Start zu gehen. Der gesamte Kurzurlaub in Sölden war einfach genial. Der Dank für die Planung gilt wie immer meinen Begleitern. Eine Riesenhilfe war auch die gut organisierte Verpflegung des Team Forchheim!
Aufgrund meines guten Ergebnisses beim Highlander Radmarathon hatte ich mir zwar eine schnellere Zeit erhofft, letztendlich war an diesem Tag mit meiner Taktik und der desaströsen Leistung am Timmelsjoch eben nicht mehr drin.

Eine Antwort auf „Ötztaler Radmarathon 2017“

  1. Hallo Jonas,

    zunächst einmal GRATULATION zu deiner starken Leistung beim ÖRM. Noch bemerkenswerter finde ich allerdings deine offene und ehrliche Darstellung deiner Innensichten und heftigen Erfahrungen beim Aufstieg zum Timmelsjoch sowie deine schonungslose Selbstkritik. Alles in allem ein toll gestalteter blog, man merkt , dass du den Radsport LEBST. Weiter so!

    Grüsse, Matthias (RV Badenia)

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