Highlander Radmarathon 2017

#1 Anreise

Für die Hinfahrt hatte mich DD als professionellen Beifahrer gewinnen können, der sowohl Radioprogramm als auch Verkehrsgeschehen jederzeit fachmännisch kommentierte. In gewohnt stoischer Manier ertrug DD sowohl meinen Sprechdurchfall wie auch die etwas zu zahlreichen Verkehrsbehinderungen.

Da ich seit zwei Tagen nicht mehr trainieren gewesen war, legte ich die letzte Stunde bis zur Unterkunft mit dem Rad zurück. Ich wollte unbedingt sichergehen, dass ich nach zwei Ruhetagen das Radfahren noch nicht verlernt hatte. Mein Soigneur DD sorgte in der Zwischenzeit dafür, dass ich bei meiner Ankunft bereits sämtliches Gepäck auf dem Zimmer vorfand und gleich duschen konnte.

Aus Zeitgründen verzichtete ich auf die Massage, sodass wir nur beinahe eine Stunde zu spät zum gemeinsamen Abendessen mit BW, MW und SK in einer nahegelegenen Pizzeria eintrafen. Während des Essens ging es natürlich um die richtige Renntaktik sowie Bekleidungsstrategie. Wieder in der Herberge präparierte ich noch mein Frühstück, die Rennmaschine und den Wecker.

#2 Rennen

Nachdem der Wecker DD und mich nach wenigen Stunden Nachtruhe um 4:18 Uhr unsaft mit „OVERWERK – Daybreak“ aus den Träumen gerissen hatte, offenbarte ein Blick aus dem Fenster nur leere Schwärze. Auch der Blick nach Osten ließ noch nicht den Hauch eines „Daybreak“ erahnen; nichts was einen Beitrag dazu hätte leisten können, unsere Stimmung aufzuhellen.

Wir ließen uns unser vorbereitetes Frühstück schmecken und waren – für mich eine „once in a liftime“-Erfahrung – früher auf dem kühlen Weg zum Start, als wir geplant hatten. Infolgedessen waren wir ungefähr 45 Minuten vor dem Start an Ort und Stelle, konnten uns Plätze sehr weit vorne sichern und dabei noch ein wenig frierend herumstehen. Dass die gute Startposition unsere erprobte Taktik, das Feld während eines Überholmanövers von den hinteren Rängen aus komplett in Augenschein nehmen zu können, zerstörte, stellte eine willkommene Abwechslung dar und vereinfachte unsere Starphase drastisch, Denn die Strecke verlief nur wenige Kilometer flach, bevor das Bödele als erstes Selektionskriterium des Tages wartete.

Im Frühtau zu Berge. © Sportograf

Am Vorabend wurde uns zwar glaubhaft versichert, dass man nicht in der Spitzengruppe über das Bödele fahren müsse, um später ganz vorne zu sein, weil auf dem langen Stück bis zum nächsten Anstieg die Gelegenheit bestünde, wieder nach vorne aufzuschließen. DD und ich entschieden uns aber trotzdem dazu, möglichst weit vorne zu fahren.

 

Bald hatte sich eine Spitzengruppe mit ungefähr 20 Fahrern gebildet. Leider war DD plötzlich weg. Ich erfuhr später, dass er den ersten von zwei Platten hatte, bevor ihm zur Krönung am letzten Berg des Tages noch das Schaltauge abreißen sollte.

Bei mir lief es glücklicherweise so gut, dass ich in der Spitzengruppe über das Bödele kam. Im Flachstück nach der Abfahrt schlossen tatsächlich wieder einige Fahrer zur Spitzengruppe auf. So war diese auf ungefähr 30 Leute angewachsen, als der Anstieg hinauf zum Hochtannenbergpass begann.

Schmerzen am Bödele. © Sportograf

 

In einer ruhigen Minute im Tal, erhielt ich von Bernd Hornetz noch eine gute Übersicht über die illustre Konkurrenz in der Spitzengruppe. Laut Bernd war das Starterfeld heuer so stark wie selten. Auf meine Entgegnung, dass er bei dieser Äußerung zweifellos auf meine Teilnahme anspielte, ging er gar nicht erst ein. Dafür erfuhr ich, dass die amtierenden Transalp-Gewinner, der Vorjahressieger und einige Leute mehr, die in der Marathonszene wirklich Rang und Namen haben, dabei waren.

Ich für meinen Teil war am Hochtannenbergpass schon sehr zufrieden, noch bei den Leuten zu sein und mich in der Spitzengruppe wiederzufinden. So konnte ich mich von nun an komplett auf mein Tagesziel konzentrieren: mich vollkommen leer fahren.

Nach einer kurzen Abfahrt folgte der Anstieg zum Flexenpass und so langsam taten mir doch ordentlich die Beine weh. Die Tempoarbeit übernahm nun das Team Corratec um den Vorjahressieger Michael Markolf.

Direkt nach der Überfahrt des Flexenpasses sollte die Zeit auf der folgenden Abfahrt neutralisiert werden, um dem erhöhten Verkehrsaufkommen infolge einer Straßensperrung Rechnung zu tragen und die Sicherheit aller Teilnehmer zu gewährleisten. Dabei wurde von den Veranstaltern eine Mindestzeit von 13 Minuten für das Durchfahren der Neutralisation vorgegeben. Die Mindestzeit wurde anhand der geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen ermittelt. Jeder Teilnehmer, der seine Zeit bei der Zeitnahme im Tal nach weniger als 13 Minuten wieder startete, sollte disqualifiziert werden. Direkt vor der Neutralisation befand sich eine Labestation.

Im Vorfeld hatte ich damit gerechnet, mich dort schon in einer Gruppe weiter hinten wiederzufinden und eine Verpflegungspause geplant. Weil ich jedoch noch in der Spitzengruppe war, ließ ich besagte Labe kurzerhand aus. Infolge der kühlen Temperaturen hatte ich noch genug Flüssigkeit, um eine Weile weiterzufahren. Nur meine beiden Gels ohne Koffein – leichtsinnigerweise hatte ich wirklich nur zwei normale Gels eingepackt –  waren schon aufgebraucht und mein Vorrat an Clif Bar Riegeln war schon ziemlich geschrumpft.

Das Tempo in der Spitzengruppe während der Neutralisation wurde vom Führungsfahrzeug vorgegeben, dass, so die verbreitete Annahme, natürlich die geltenden Geschwindigkeitsbegrenzungen einhalten und dementsprechend nach exakt 13 Minuten an der Zeitmatte am Ende der Neutralisation ankommen würde. Schon während der Abfahrt erfuhr ich, dass wir weniger als 13 Minuten für die Neutralisation brauchen würden – das Führungsfahrzeug die Verkehrsregeln also nicht beachtete – und nutzte die Gelegenheit für eine Pinkelpause. Ich konnte trotzdem wieder zur Führungsgruppe aufschließen, die sich beim Wiederbeginn der Zeitmessung teilen sollte. Einige verwegene Athleten fuhren mit dem Führungsfahrzeug über die Matte und riskierten somit laut Reglement eine Disqualifikation. Ich entschied mich dafür, anzuhalten und zu warten, bis die 13 Minuten vorüber waren. Selbst mitgestoppt hatte ich blöderweise natürlich nicht, sodass ich nicht vollkommen sicher war, als ich meine Fahrt schließlich fortsetzte.

In der Anfahrt zum Faschinajoch liefen die beiden ersten Gruppen, die sich infolge der Konfusion um die Neutralisation gebildet hatten, wieder zusammen und das Rennen war wieder offen. Ich bekam langsam Panik, weil ich noch immer keine Labe angesteuert hatte und meine Vorräte nun wirklich zur Neige gingen. Vollkommen schamlos schnorrte ich mir bei Bernd Hornetz einen angenagten Riegel, bevor dieser mit Verweis auf sein gerade absolviertes Trainingslager ein bisschen Tempo rausnahm. In der Hoffnung meinen Beinen noch einmal neues Leben einzuhauchen, griff ich kurze Zeit später zu meinen beiden Gels mit Koffein. In einem steilen Anstieg vor dem eigentlichen Pass war das Rennen dann in vollem Gange. Schon an den vorangegangenen Bergen hatte Philipp Schäddel geradezu unverschämt locker ausgesehen. Und ebenso mühelos schien er nun davonzuziehen. Lediglich ein Fahrer konnte ihm folgen. Mein Urteilsvermögen hatte ich mittlerweile wohl komplett eingebüßt. Anders lässt sich in der Retrospektive kaum erklären, dass ich zeitweise auch die Nachführarbeit übernahm und mich damit grandios übernahm.

Nach einer kurzen Zwischenabfahrt büßte ich langsam Position um Position ein und verlor so den Anschluss an die Verfolgergruppe. Da ich nun wirklich etwas zu essen brauchte, steuerte ich – nur wenige Meter hinter der Gruppe fahrend – die nächste Labestation im Anstieg an, um mir ein paar Bananenstücke zu genehmigen. Frisch versorgt konnte ich den Anschluss an die Spitze sogar wieder herstellen. Thomas Gschnitzer ging in der Folge ebenfalls auf mein erbärmliches Gebettel ein und reichte mir großzügigerweise eine seiner Flaschen, damit ich auch meinen Flüssigkeitshaushalt im Griff behalten konnte. Leider hatte mich die Aufholjagd doch ein paar Körner zu viel gekostet und unmittelbar nachdem die Mannschaft von Corratec die Tempoarbeit übernommen hatte, verlor ich endgültig den Anschluss. Ich fuhr nun mein Tempo weiter, überquerte an elfter Position die Passhöhe und nahm alleine die kurze Abfahrt bis zum Einstieg des Furkajoches in Angriff. Dort entschloss ich mich dazu, erneut eine Labe anzufahren. Mit der Bitte nach „Iso“ gab ich den augenscheinlich über die Ankunft eines recht weit vorne im Rennen liegenden Fahrers überraschten Helfern meine Flasche. Während sich die Freiwilligen auf die langwierige Suche nach dem gefragten isotonischen Gesöff begaben, hatte ich kurz Zeit, mich darüber zu freuen, der Erste und nicht der 179. gewesen zu sein, der seine verdreckten Griffel in der Kiste mit den getrockneten Aprikosen versenkt hatte und stopfte mir einige Früchte in den Mund. Leider büßte ich während meines Stopps zwei Positionen ein. Die beiden Fahrer waren jedoch nicht weit vor mir und ich konnte wieder zu ihnen aufschließen. Wütend darüber, an der Labe so viel Zeit verloren zu haben, übernahm ich sogleich die Tempoarbeit. Laut meines Höhenmessers konnten es noch maximal 400 Höhenmeter bis zur letzten Passhöhe des Tages sein. Und obwohl es vor meinen Augen so langsam zu flimmern begann, war ich guter Dinge, dieses Tempo noch so lange durchhalten zu können. Eine nicht enden wollende Gerade am Ende des Anstieges sollte mich alsbald eines Besseren belehren. Urplötzlich flog Bernd Hornetz so mühelos, als wäre er gerade im Grundlagenbereich unterwegs, an mir vorbei. Vollkommen reaktionsunfähig sah ich ihn und kurz darauf meine beiden Begleiter von dannen ziehen. Mein Fokus richtete sich von nun an nur noch darauf, irgendwie die Passhöhe zu erreichen, der ich, so gut ich das durch das ständige Flimmern noch beurteilen konnte, tatsächlich näher kam. Meine panischen Blicke zurück boten mir eine willkommene Gelegenheit, das beeindruckende Bergpanorama aus dem Augenwinkel zu bestaunen.

In der folgenden Abfahrt ging ich keine Risiken ein, sodass ein Fahrer von hinten zu mir aufschloss. Kurze Zeit später holten wir auf der engen Abfahrt einen meiner früheren Begleiter wieder ein und setzten die Fahrt von nun an zu dritt fort. Auch wenn die Führungsarbeit nicht vollkommen gleich verteilt war, war ich doch heilfroh, die letzten Kilometer, die sich gefühlt eine Ewigkeit hinzogen, nicht alleine absolvieren zu müssen.

Komplett verausgabt überquerte ich schließlich nach 5 h 38 min 24 sek als 14. die Ziellinie. Mein Tagesziel, mich komplett leerzufahren, hatte ich ohne Abstriche erreicht; ich war fix und alle. Dass dabei noch eine gute Zeit sowie eine anständige Platzierung heraussprangen, machte mich umso zufriedener.

© Sportograf

Eine Antwort auf „Highlander Radmarathon 2017“

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert