Am Dienstagabend war ich zu einem ausgesprochen leckeren Crêpes-Schlemmen eingeladen, das geschmacklich leider noch vor dem Nachtisch in ein handfestes Desaster umschlagen sollte. Die Gastgeber hatten auf Anraten eines Kochs chinesischen Knoblauch gekauft. Dieser soll einerseits ein dem herkömmlichen Knoblauch ebenbürtiges Geschmackserlebnis bieten andererseits soll man im Anschluss seinen Genuss jedoch keinen unangenehmen Körpergeruch verströmen. Eine steile These, wie ich fand.
Da ich noch etwas Halsweh hatte und Knoblauch in der traditionellen Medizin und bei Superfood-Enthusiasten als besonders wirksames Heilmittel gegen sämtliche Leiden geschätzt wird, wollte ich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und sowohl meinen Infekt besiegen, als auch im Dienste der Wissenschaft feststellen, ob der Knoblauch das Versprechen nach weniger unangenehmem Körpergeruch hält. Großspurig kündigte ich an, eine Zehe des Knoblauchs roh zu genießen und willigte ein, im Anschluss über den Ausgangs des Experiments Bericht zu erstatten.
Was ich zu diesem Zeitpunkt nicht wusste: Chinesischer Knoblauch wird auch Soloknoblauch genannt, weil eine Knolle keine einzelnen Zehen besitzt. Ich hielt mich aber einmal mehr an die alte Weisheit „Wenn’d was druff hasch, macht dir’s nix aus.“ Voller Vorfreude darüber, dass ich am nächsten Tag vollkommen genesen Bäume ausreißen würde, belegte ich mir ein Brot mit den Scheiben einer Knolle, die in ihrer Größe (gütigerweise) nur einer sehr großen Walnuß gleichkam.
Den Vergleich zur Schärfe normalen Knoblauchs kann ich nicht ziehen, aber ich empfand den Soloknoblauch als wahrlich scharf genug. Der Versuch wurde fotografisch festgehalten und die Bilder sprechen für sich.
Ich empfehle Anwendern des Soloknoblauchs sich an die üblichen Mengen zu halten. Meine weiteren Speisen gingen fortan leider geschmacklich vollkommen unter, aber eine wohlige Wärme aus meinem tiefsten Inneren durchströmte mich.
Auch das Frühstück am nächsten Morgen war geschmacklich noch etwas beeinträchtigt, obwohl ich zur Feier des Tages sogar meine Zahnbürste für meine Zähne anstatt zur Reinigung meiner Kette zweckentfremdet hatte. Leider war mein Infekt auch nicht vollständig verschwunden.
Blieb zumindest die Hoffnung, dass ich nicht durch den typischen Knoblauchgeruch gebrandmarkt sein würde. Als Probanden erachtete ich meine Arbeitskollegen als repräsentative Stichprobe. Zumindest mein Zimmerkollege schien doch erheblich unter meinen Ausdünstungen zu leiden. Um endgütlig festzustellen, ob man nach dem Geruch herkömmlichen Knoblauchs noch penetranter duftet, müsste das Experiment natürlich mit ebensolchem Knoblauch und denselben Probanden wiederholt werden. Leider wurde ich eindringlich dazu angehalten, derlei Experimente zukünftig nicht zu wiederholen, sodass ich die Antwort auf diese Frage leider schuldig bleibe. Ich gehe jedoch davon aus, dass der Geruch im Falle herkömmlichen Knoblauchs penetranter ist. Ein eher knoblauchaffiner Kollege nahm nämlich keinen unangenehmen Geruch wahr.
Obwohl ich mich heute aufgrund leichten Halskratzens nicht wirklich fit fühlte, wollte ich den warmen Sommerabend doch zu einer kleinen Tour nutzen. Auf dem Weg durch die Felder konnte ich sogar die ersten Äpfel der Saison ernten und machte mich mit vollen Trikottaschen zurück auf den Heimweg. Wie gewöhnlich herrschte bei den meisten Ampeln, die meinen Weg verschönerten „Radlergrün“ vor. Deshalb machte ich mir keine weiteren Gedanken, als ich die Grünphase an einer größeren Kreuzung ebenfalls spürbar ausweitete.
Wenig später sollte sich dies als fatal herausstellen. Einen knappen Kilometer nach der Ampel parkte ein grauer Kombi, der von zwei schneidigen Beamten in meinem Alter flankiert wurde, auf dem Radweg, den ich heute (vorbildlicherweise) nutzte. Anders als erhofft, wurde dieser Umstand von den eifrigen Ordnungshütern jedoch nicht mit Anerkennung gewürdigt. Sie machten mich vielmehr auf meine soeben begangene Ordnungswidrigkeit aufmerksam, die ich auch nicht abstritt.
Was nun folgte, war eine Zurechtweisung und Rechtfertigung, deren logische Geschlossenheit mir zumindest fragwürdig erscheint. Mir wurde zur Last gelegt, die rote Ampel missachtet zu haben – dieser Tatbestand trifft vollkommen zu – und dadurch andere Verkehrteilnehmer, in diesem Fall die beiden Polizisten in ihrem Streifenwagen, gefährdet zu haben – hier hege ich doch gewisse Zweifel.
Paradoxerweise versuchten mir die beiden glaubhaft zu vermitteln, dass sie sich eigentlich um meine Gesundheit sorgten und deshalb einschritten, bevor ich an der nächsten Ampel zu Tode gekommen wäre. Denn als Radfahrer sei ich es, der unter einer Kollision zu leiden habe. In diesem Fall würde mich auch der Helm nicht schützen und ich hätte mit großer Sicherheit Knochenbrüche, Prellungen und Schürfwunden davongetragen. (Als ob ich dafür erst mit einem Auto zusammenstoßen müsste.)
Meine beiden Schutzbefohlenen gaben sich eine geschlagene Viertelstunde große Mühe sowohl die Sorge um meine Gesundheit als auch ihren erlittenen Schock, aufgrund der von mir in Kauf genommenen Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer, insbesondere ihnen selbst, eloquent zum Ausdruck zu bringen. Da sie als Zivilstreife unterwegs waren, hätte die Hemmschwelle zu reagieren, naturgemäß hoch gelegen. Aber diese schwerwiegende Ordnungswidrigkeit mussten sie sofort ahnden.
Ich erfuhr auch, dass es ein recht kostspieliger „Denkzettel“ werden würde, den sie mir auf den Heimweg sowie meinen weiteren Lebensweg mitgeben würden. Insgesamt belief sich die Ausbeute auf 160 € Bußgeld, eine Anzeige und zwei Punkte. Ziemlich viel Geld für einen lausigen Durchschrieb, der in einer ungelenken Handschrift ausgefüllt worden war. Wie nachhaltig sich dieses Wertpapier entwickelt, kann ich natürlich noch nicht abschätzen. Aber ich bin der festen Überzeugung, eine sinnvolle Investition getätigt zu haben. Denn die Bußgeldstelle wird mir gegen eine läppische Bearbeitungsgebühr von 25 € glücklicherweise noch eine ordnungsgemäße Rechnung zukommen lassen.
Da ich den beiden nun schon eine Weile Gesellschaft leisten durfte und langsam die Dämmerung hereinbrach, geriet abschließend noch die Frage nach meinem Licht in ihren Fokus. Mein Einwand, dass ich eigentlich vor Hereinbruch der Nacht daheim angelangt wäre, überzeugte sie nicht gerade. Deshalb wurde mir nahegelegt, aus Rücksichtnahme auf meine eigene Unversehrtheit, mit dem öffentlichen Nahverkehr die Heimfahrt anzutreten.
Um weiteren Anzeigen wegen Schwarzfahrens sowie eventueller Sachbeschädigung und Erregung öffentlichen Ärgernisses und einer Privatinsolvenz aus dem Weg zu gehen, bzw. zu fahren, entschied ich mich jedoch dafür, den Heimweg auf dem Fahrrad zu bewältigen.
Nachdem ich gestern bereits von Karlsruhe nach Schaffhausen gefahren war, um die wohl beste Pizza (bzw. mehrere der besten Pizzen) der Welt zu genießen und der Erfindung einer neuen Methode zur Herstellung von Fruchteis beizuwohnen, stand heute die Rückfahrt nach Karlsruhe auf dem Plan. Nach einem bemerkenswert leckeren und umfangreichen Frühstück, das insbesondere durch seinen hohen Sahnegehalt hervorstach, verabschiedete ich mich in bester Stimmung von meinen Gastgebern. Der Wetterbericht sagte für den Nachmittag im Schwarzwald zwar unsicheres Wetter voraus, aber ich war fest davon überzeugt, dass ich trockenen Reifens mindestens bis Freudenstadt kommen würde. Um eine zweite Begegnung mit meinem Frühstück auszuschließen, ließ ich es in Oberlenkerhaltung fahrend, locker angehen und genoss die Sonne.
Meine Hoffnung, dass nur der letzte Teil meiner Tour vom Regen beeinträchtigt sein würde, zerschlug sich leider schon nach weniger als zwei Stunden Fahrtzeit, als zu tröpfeln begann. Das konnte ja heiter werden, dachte ich mir. Das Wetter erwies sich leider als zunehmend weniger heiter und ein stetiger Regen gab sich redlich Mühe mich zu durchnässen. Meine Verärgerung über das Wetter hielt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch in Grenzen, denn das Wetter war einfach nur recht pünktlich gewesen. Der Wetterbericht hatte Regen ab dem Nachmittag vorhergesagt und hier und heute wurde mir klar, dass mit „Nachmittag“ per Definition die Zeit des Tages nach 12:00 Uhr mittags bezeichnet wird.
Die Aussicht, die verbleibenden ungefähr fünf Stunden in diesem charakterbildenden Wetter zu verbringen, stimmte mich nicht unbedingt optimistisch. Mental begann ich mich auf heroisches Leiden im Stile der Protagonisten aus „A Sunday in Hell“ einzustellen. Meine vorbildliche Regenausrüstung beschränkte sich auf die obligatorische stilvolle Rennmütze.
Aufgrund eines u(h)rigen Sonnenbrands, den ich mir durch den Verzicht auf mein Präzisionschronometer am Vortag eingehandelt hatte, hatte ich an den betroffenen Stellen Sonnencreme appliziert. Unter den herrschenden Bedingungen ließ diese zumindest das Wasser besser abperlen. Außerdem konnte ich zweifelsfrei verifizieren, dass es sich um eine wasserfeste Sonnencreme handelte. Eine bahnbrechende Erkenntnis auf meinem Weg durch den Regen, der zusehends kühler wurde.
Nachdem es ungefähr eine Stunde geregnet hatte, ließ meine Motivation langsam nach. Als ich an einer offenen Stalltüre vorbeifuhr, begannen meine Gedanken um die großen, plüschigen und vor allem warmen Körper des gutmütigen Milchviehs darin zu kreisen, das einen durchgefrorenen Radsportler sicher gerne in seine Mitte genommen und gewärmt hätte.
Einmal abgestiegen wäre ich wohl nicht mehr weitergefahren und meine Gedanken drehten sich fortan um eine alte Weisheit meines Trainers: „Wenn’d was druff hasch, macht dir’s nix aus.“ Damit war die Frage, ob ich dem Wetter standhalten würde also auf einfache Weise beantwortet worden. Mir einzugestehen, „das“ nicht draufzuhaben, war eindeutig keine Alternative, sodass ich wohl oder übel würde durchhalten müssen. Glücklicherweise zeichneten sich am Himmel links von mir bereits Löcher in der Wolkendecke ab und nährten meine Hoffnung, auf ein baldiges Ende des Regens.
Eine halbe Stunde später wurde ich nur noch von unten nass und anschließend fuhr ich sogar drei Stunden auf trockener Fahrbahn. Der Wind, der mich am Vortag noch einige Nerven gekostet hatte, schob mich nun die Hügel hinauf und zauberte mir ein gequältes Lächeln ins Gesicht. Sogar die Windkraftanlagen lachten mich an, als ich das wellige Terrain in Richtung Freudenstadt in Angriff nahm.
Mittlerweile schwammen auch meine Füße nicht mehr in den Schuhen. Was mich aber bis ins Mark erschütterte, waren die erbärmlichen Schreie nach Öl, die meine vor dem Wochenende erneuerte Kette mittlerweile verlauten ließ.
Glücklicherweise sollte sich dies jedoch bald wieder ändern. Auf den letzten 20 km sorgte erneut einsetzender Regen wieder für eine einwandfreie Schmierung der Kette und ermunterte mich, möglichst schnell nach Hause zu fahren. Rückenwindunterstützt war auch der Schnitt zufriedenstellend und meine Beine fühlten sich noch so munter an, wie es nach knapp 180 km eben geht. Nach etwas weniger als sechseinhalb Stunden Gesamtzeit erreichte ich voller Vorfreude auf eine warme Dusche mein Zuhause samt dem Kühlschrank voller Essen.
Gestern wurden mir endlich die metallenen Andenken an meinen bisher unglücklichsten Fahrradsturz aus dem Arm entfernt. Wie nach der letzten Operation darf ich nun erneut eine Drainage und einen dicken Verband um den Arm mein Eigen nennen. Wenn ich das blutige Gefäß, das an meinem Arm baumelt, länger in Augenschein nehme, stellt sich reproduzierbar Brechreiz ein und ich erschaudere beim Gedanken an den Moment, an dem die Drainage gezogen wird. So darf ich die heißesten Tage des bisherigen Sommers damit verbringen, im eigenen Saft zu garen und habe viel Zeit die Geschehnisse, die der gestrigen Operation vorausgingen, Revue passieren zu lassen.
Alles begann lächerliche vier Kilometer vor der Heimkehr von einer lockeren Trainingsrunde im April 2014. Es war ein angenehmer Frühlingsabend, der die Jahreszeit der kurzen Trikots und Hosen unmissverständlich in die nahe Zukunft rückte. Mein Wintertraining war gut gewesen und ich verschwendete erste Gedanken an die Planung meiner Rennsaison. Das Ende meines Studiums war ebenfalls in greifbarer Nähe und ich befand mich in der Vorbereitung der verbliebenen mündlichen Prüfungen. Am selben Abend war ich noch zu einem lange geplanten und mehrmals verschobenen Abendessen bei Freunden eingeladen, auf das ich mich ebenfalls freute. Mein Leben verlief zu diesem Zeitpunkt alles in allem ziemlich reibungslos. Wie schnell mich reibungskontrollierte Prozesse auf den steinigen Boden der Realität zurückholen sollten, war mir in diesem Moment nicht bewusst. Charakteristischerweise war ich länger unterwegs gewesen, als ich im Voraus geplant hatte. Ich würde mich etwas beeilen müssen, um noch einigermaßen pünktlich zum Essen zu kommen. Um daheim keine unnötige Zeit damit zu verschwenden, noch etwas trinken zu müssen, griff ich zur Trinkflasche, die ich bis dahin kaum angerührt hatte. So nahm das Ungemach seinen Lauf.
Eine Hand am Lenker, in der anderen die Trinkflasche, rolle ich lässig dahin. Zu meiner Rechten rollt ebenso unaufhaltsam ein Zug vorbei. Beim Anblick des Zuges hänge ich fasziniert Gedanken über die Grundlagen der Schienenfahrzeugtechnik nach. Als ich den Blick wieder auf den Asphalt richte, nehme ich gerade noch wahr, wie ich mit dem Vorderrad einen Ast überrolle. Sekundenbruchteile später rolle ich selbst über den Asphalt, die Hand mit der Trinkflasche stets obenauf. Ich krümme mich vor Schmerz und bin erbost über meine eigene Unachtsamkeit, die so schnell in einem absolut unnötigen Sturz endete.
Ein paar Sekunden später habe ich mich einigermaßen aufgerafft und beginne meinen Körper, meine Kleidung und natürlich mein Rad zu untersuchen. Die frisch angelegten Löcher in meinen alten Klamotten lassen sich bestimmt als modischen Kunstgriff verkaufen. Die unschönen Löcher in meiner Haut, die noch nicht so alt ist, schmerzen schon eher. Der beschädigte Sattelbezug und das Lenkerband sind weitere Ärgernisse. Zunächst krümme ich mich aufgrund der Schmerzen jedoch wie ein Besoffener über mein Rad. Ein vorbeikommender Radfahrer beachtet mich nicht weiter. Ich kann es ihm kaum übel nehmen. Vermutlich geht er davon aus, dass ich gerade ins Gebüsch gereihert habe. Mit Idioten, die besoffen Rennrad fahren und aus einigen Löchern bluten, hätte ich auch wenig Mitleid. Ich reiße mich zusammen, versichere mir kurz, dass alles halb so wild ist und mache mich auf den Heimweg. Während selbigem stelle ich fest, dass ich den Lenker mit der linken Hand nicht mehr richtig greifen kann und mir der Wiegetritt doch etwas schwerer fällt als sonst. Zuhause angekommen, befreie ich mich eilig von den Klamotten und eile in die Dusche, denn ich möchte trotz allem die Einladung zu einem leckeren Abendessen wahrnehmen. Unter der Dusche sehe ich, dass an meinem linken Ellenbogen eine seltsame Beule absteht, die sich mit dem Finger bewegen lässt und einen soliden Kern aufweist. Mein beschränktes Hirn wird vollständig durch die reine Beobachtung der Realität in Anspruch genommen, sodass keinerlei Reflektion über die wahrgenommenen Tatsachen möglich ist. Das Loch in meiner Hüfte sieht ebenfalls nicht sehr appetitlich aus und gibt an der tiefsten Stelle den Blick auf ein weißes Gewebe frei, das ich bisher noch nicht am lebenden Tier beobachten konnte. Um meine Neugier zu befriedigen, lege ich buchstäblich den Finger in die Wunde und stelle fest, dass es sich um ein festes Gewebe und nicht um eine Flüssigkeit wie Eiter handelt. Währenddessen bin ich erstaunt darüber, dass mich kein Brechreiz überkommt, wo ich sonst nur sehr ungerne Blut und Verletzungen sehe.
Immerhin reicht mein Urteilsvermögen noch so weit, festzustellen, dass ich Hüfte und Arm in irgendeiner Weise verbinden sollte, bevor ich mich anziehe. Die Hausapotheke der WG erweist sich leider als nicht sehr ergiebig. Die Wunde am Ellenbogen bleibt deshalb zunächst unversorgt. Heilen Wunden an der Luft nicht sowieso am besten? Das Loch in der Hüfte verlangt jedoch nach einer saugfähigen Lösung und außerdem wird hier später auch die Jeans scheuern. Weil die Wunde hübsch groß und tief ist, muss etwas improvisiert werden. Ich schneide von zwei verbliebenen großen Heftpflastern die klebenden Ränder auf der vollen Länge ab, damit ich sie anschließend über der Wunde kreuzen kann, ohne dass die Klebeflächen in die Wunde kommen. Anschließend nutze ich die entfernten Kleberänder, um meine Konstruktion zu fixieren. Mit Unterhose und Hose darüber müsste das schon gehen, urteile ich. Die Übelkeit, die mich überkommt, während ich mich mit dem Rad auf dem Weg zu meinem Abendessen mache, lässt mich das erste Mal ernsthaft an der optimistischen Selbstdiagnose zweifeln, dass kein Bruch vorhanden ist. Nichtsdestotrotz möchte ich das Essen so kurzfristig unmöglich absagen und verspüre doch etwas Appetit.
Das wirklich gute Essen konnte ich leider nur mit einer Hand in den Mund befördern und mit fortschreitender Zeit wurde mir auch zusehends kalt, obwohl ich eigentlich viel zu warm angezogen war. Ich verabschiedete mich bald nachdem der letzte Teller geleert war und entschied, dass ich noch das nahegelegene Städtische Klinikum aufsuchen würde. Ich war ja glücklicherweise mit dem Rad da, sodass der Weg sicherlich kein Problem darstellen sollte. Als ich den Schlüssel aus meiner Hosentasche holen wollte, musste ich mit Erschrecken feststellen, dass meine Verbandskünste nicht ausgereicht hatten, um zu verhindern, dass Unterhose und Jeans vollkommen von Blut durchweicht worden waren.
Den Plan, in die Notaufnahme zu radeln, musste ich schnell verwerfen. Der Versuch mein rechtes Bein über den Sattel zu schwingen, endete damit, dass ich vor Schmerz ächzte, noch bevor mein Fuß den Boden richtig verlassen hatte. Infolgedessen erreichte ich die Notaufnahme wenig später etwas ungelenk humpelnd, mein Rad vor mir herschiebend.
Nach Erledigung der Formalitäten versuchte ein viel zu verständnisvoller Arzt mein langärmliges T-Shirt über den kaputten Arm zu streifen. Unter der Kleidung war mir verborgen geblieben, dass ich linksseitig aussah wie Popeye und einen Unterarm in Melonenform mit mir herumtrug. Mein Shirt fiel deshalb der Schere zum Opfer. Die Wartezeit vor dem Röntgen bot nun Gelegenheit, mich ob meiner Dummheit selbst zu bemitleiden. Mittlerweile war ich mir wohl im Klaren darüber, dass mein linker Arm erheblich gelitten hatte und hoffte nur, dass mir eine Operation erspart bleiben würde.
Die Krankenschwester, die kurz darauf meine Hüfte in Augenschein nahm, konnte sich ein mitleidiges Schmunzeln aufgrund meiner Verbandskünste nicht verkneifen. Ein paar Haut- sowie Fleischreste wurden nach der lapidaren Anmerkung, dass diese definitiv nichts mehr würden und tot seien, professionell entfernt. Glücklicherweise war ich über den Punkt hinaus, wo ich solche geringfügigen Schmerzen, wie sie ein Schnitt mit einem Skalpell verursacht, noch wahrgenommen hätte. Die Wunde war in den letzten Stunden jedoch nicht gerade ansehnlicher geworden. Die Röntgenbilder ergaben, dass ich eine „mäßig dislozierte Olekranonfraktur, die auf jeden Fall operiert werden“ musste, erlitten hatte. Ganz langsam dämmerte mir, dass ich mit den Folgen dieses bescheuerten Sturzes noch eine gute Weile Spaß haben würde. Ich bekam gleich noch eine schöne Schiene an den Arm, um zu verhindern, dass der Bruchspalt infolge möglicher Bewegungen des Arms noch weiter aufgehen würde.
Buchstäblich und im übertragenen Sinne am Boden zerstört trat ich die Heimreise an. Gegen halb zwei langte ich schließlich daheim an. Der Versuch, mir mit der rechten Hand die Zähne zu putzen, schlug vollkommen fehl. Mich auszuziehen dauerte ebenfalls eine Ewigkeit und wurde von unschönen Flüchen begleitet. Leider fand ich in meinem schmalen Bett einfach keine Position, in der Mein Arm und meine Hüfte nicht höllisch wehtaten, sodass an Schlaf kaum zu denken war. Zudem hatte ich am nächsten Morgen bereits den nächsten Termin im Krankenhaus, um das Datum für die Operation zu vereinbaren. Dergestalt endete der wohl ungeilste Tag meiner jüngeren Vergangenheit.
Am Vorabend der heutigen Runde, hatte BW zu seiner Geburtstagsfeier geladen. Dort wurde umfangreiches Carboloading angeboten, das je nach persönlicher Vorliebe auf flüssiger oder fester Grundlage durchgeführt werden konnte. In guter Tradition vertraute ich auf die sättigende Wirkung zahlreicher Flammkuchen, deren Menge eine gute Basis für eine ausgedehnte Tour am folgenden Tag sein sollte. Trotz der Tatsache, dass ich meine Kalorien am Vorabend in vorwiegend fester Form zugeführt hatte, stand ich am nächsten Tag doch mit etwas Kopfweh auf. Nach einem kleinen Frühstück war jedoch klar, dass die Kopfschmerzen mit dem bewährten Superpositionsprinzip der Schmerzen in den Griff zu bekommen waren. Eine naheliegende Gelegenheit sich schwere körperliche Schmerzen zuzufügen, war in Form des Anstieges von Malsch nach Freiolsheim gegeben. Nachdem ich mich im Ort schon ausgiebig über einige Sonntagsfahrer in ihren Wohnmobilen aufregen konnte, startete ich gleich mit der notwendigen Aggressivität in den Anstieg. Alles in allem fühlten sich meine Beine besser an, als ich es erwartet hatte und so fand ich schon vor dem ersten Schild, das vor den folgenden Steigungsprozenten warnt, einen anständigen Rhythmus. Nach dem ersten kurzen Steilstück waren die Kopfschmerzen im Vergleich zu den Schmerzen in den Beinen eindeutig das kleinere Übel und wenig später wunderte ich mich, ob man das, was ich zuvor im Kopf verspürt hatte, überhaupt als Schmerz bezeichnet werden darf. Meine Atmung kam so langsam auch in Schwung, sodass ich mich zufriedenstellenderweise bald selbst Keuchen hörte. Im langen Steilstück wurde mir klar, dass ich nun, wo ich unten schon recht schnell in den Anstieg reingefahren war, unmöglich einfach nachlassen konnte. So eignet sich ein zügiger Start in dieses Segment immer gut für eine kleine Standortbestimmung. Folgerichtig behielt ich meinen Rhythmus bei und begann nur wenige Meter später richtig zu leiden. Die Geräuschkulisse meine Rades, das ärgerlicherweise etwas knarzte und dessen Kette peinlicherweise heute Morgen keine frische Schmierung erhalten hatte, wurde nun von meinem eigenen Ächzen übertönt, das kurz darauf nahtlos in ein veritables Todesröcheln überging. Zusätzlich zu meiner vom Schmerz verzerrten Visage verdeutlichte auch das unästhetische Gezappel meines Oberkörpers jedem vorbeifahrenden Auto, dass hier jemand heftige Qualen erduldete. Wahrscheinlich überholten mich alle so zügig, um nicht in die Verlegenheit zu geraten Ersthilfe leisten zu müssen, falls ich kollabiert wäre. Soweit sollte es zum Glück nicht kommen. Oben angelangt badete ich im eigenen Saft, hörte das Blut in meinen Ohren Rauschen und schnappte nach Luft wie ein fetter gestrandeter Fisch. Die gefahrene Zeit sollte sich leider als reichlich unspektakulär herausstellen. Aber das Gefühl sich wieder einmal ausbelastet sowie die Superposition der Schmerzen lehrbuchhaft durchexerziert zu haben, entschädigte mich auch ganz gut. Den Rest der Runde legte ich in gemütlichem Tempo zurück. Am Weithäusleplatz traf ich glücklicherweise noch DD, der sich nach einem zünftigen Skirollertraining an der Wand von Kaltenbronn noch aufs Rad geschwungen hatte und mich bis nach Durlach begleitete. Ich schloss zum Ausrollen noch eine Runde durch den Kraichgau in Begleitung von KK an. Diese bot noch ausreichend Gelegenheit das makellose Wetter bei gemäßigtem Tempo zu genießen. Dergestalt beschloss ich ein Wochenende wie es sein sollte, bevor ich mich am 1. Juli den Dämonen der Vergangenheit stellen werde, wenn das Metall aus meinem linken Arm entfernt wird.
Im Laufe der Woche hatte ich mich auf guten Rat von BW und DD hin, dazu entschieden, am Radmarathon Les Trois Ballons in den Vogesen teilzunehmen. Nach einer eher späten Anreise und dem obligatorischen Stopfen am Vorabend, das im Wesentlichen aus einer Pizza sowie einer Portion Nudeln bestand, folgte eine mehr oder weniger durchwachte Nacht in einem malerisch an einer Schnellstraße gelegenen Hotel, das überdies mit Raumtemperaturen im tropischen Bereich überzeugen konnte. Zumindest ließ das Frühstück (morgens um 5:00 Uhr ) keinerlei Wünsche offen. Nach einer Handvoll Croissants, einigen Crêpes und dem als Feigenblatt der fundierten Sporternährung missbrauchten Müsli, fühlte ich mich ausreichend gestärkt, um meinen ersten Radmarathon in Angriff zu nehmen.
Aufgrund der äußerst sorgfältigen und langfristigen Planung, meldete ich mich exakt 15 Minuten vor dem offiziellen Start an und nahm sogar vier Minuten vor selbigem unauffällig einen Platz in der 2000. Startreihe ein. Herr BW stand bedeutend weiter vorne, was unserem Vorhaben, gemeinsam unterwegs zu sein, leider etwas abträglich war. Um trotzdem irgendwie zusammen zu fahren, entschloss ich mich dazu, alle guten Vorsätze es ruhig angehen zu lassen, über Bord zu werfen. Leiden würde ich am Ende so oder so, lautete die Begründung dafür, die zumeist flachen ersten 20 km mit einem Schnitt von ca. 42 km/h an unzähligen Leuten vorbeizufahren, die meiner Meinung nach hinter mir hätten starten sollen. Zumindest war ich bereits gut aufgewärmt, als ich in den steilen Stücken des ersten Anstieges endlich BW einholte. Frohen Mutes, dass wir von nun an gemeinsam ins Ziel fahren würden, nahm ich die Abfahrt in Angriff.
Leider ereilte mich just am Ende selbiger ein Plattfuß. Als ob es nicht genügen würde, dass ich von Kindesbeinen an mit zweien davon ausgestattet bin.
Herb enttäuscht machte ich mich daran, den Defekt zu beheben und schwor mir zum (nachgezählt) 57. Mal meine Minipumpe direkt nach der Zielankunft endgültig zu entsorgen, um anschließend nach einem brauchbaren Modell Ausschau zu halten. Zum Glück war in Laufweite am Straßenrand eine alte Dame postiert, die für andere Teilnehmer Trinkflaschen bereithielt und überdies eine Standpumpe in ihrem Auto hatte, die ich nutzen durfte. In ewiger Dankbarkeit vermachte ich ihr eine meiner drei Trinkflaschen. Besonders bitter war, dass nun wieder all jene Teilnehmer an mir vorüberfuhren, die unberechtigterweise schon viel zu früh am Start erschienen waren und dadurch meinen Vormarsch in die erste Startreihe unterbunden hatten.
Als mein Rad wieder fahrtüchtig war, machte ich mich daran, die verlorenen Plätze wieder gutzumachen. Gelingen sollte es mir bis zum Ende des Tages leider nicht. Zwar war es ausnahmslos so, dass ich Leute einholte, überholte und hinter mir ließ, aber erst auf den letzten 20 km war ich wieder in einer Gruppe, die wirklich funktionierte und deren Teilnehmer sich ausgewogen der Führungsarbeit widmeten. Nach meinem Platten fuhr ich außerdem in der ständigen Sorge, dass mich ein weiterer Reifenschaden heimsuchen würde, sodass ich vollkommen angeschmiert mitten in der Pampa gestanden hätte. Wortwörtlich angeschmiert war ich schließlich, nachdem ich meine verklemmte Kette am letzten Anstieg zwischen Kassette und Speichen hatte herausfingern dürfen. Glücklicherweise ging nichts zu Bruch, sodass ich schnell wieder auf dem Rad saß.
Erfreulich waren die flüchtigen Bekanntschaften eines Holländers sowie eines Belgiers, die mich für jeweils einen Berg länger begleiteten. Ansonsten war ich meistens damit beschäftigt, alleine oder in der Führung fahrend eine weitere Gruppe einzuholen oder an einem Anstieg zur nächsten Gruppe aufzuschließen.
Zwei wirkliche Highlights der Strecke waren zweifellos die Verpflegungsstationen. Obwohl ich mein Frühstück zu Beginn beinahe ein zweites Mal hatte begrüßen dürfen, labte ich mich schon an der ersten Verpflegungsstation ausgiebig am dort angebotenen aromatischen Weichkäse. Schlagsahne hatten sie leider nicht im Angebot. Aber ich war den Veranstaltern wirklich sehr dankbar, dass sie auch an die Gourmets im Fahrerfeld gedacht hatten und nicht ausschließlich Energieriegel- und -gels anboten, die ich aber selbstverständlich auch konsumierte. Letztendlich waren meine Trikottaschen bei der Zieleinfahrt voller als am Start und die geschmackliche Vielfalt meines Energiegelangebots hatte sich erheblich verbessert.
Insgesamt war es ein bisschen schade, dass ich so früh im Tagesverlauf einen Platten beheben musste, denn die Beine waren nicht schlecht. So stand letzten Endes eine reine Fahrzeit von ziemlich genau sieben Stunden für 215 km Strecke mit 4200 Höhenmetern zu Buche. Fest steht, dass ich bei meinem nächsten Radmarathon nach Möglichkeit nicht so weit hinten starten werde, um von Anfang an in einer Gruppe unterwegs zu sein, die eher meinem Leistungsniveau entspricht.
Bei DD hingegen „lief es ganz gut“, sodass er nach einer Alleinfahrt von ungefähr 40 km vollkommen überlegen und ungefährdet den Sieg auf der „kurzen“ Distanz feiern konnte. Herzlichen Glückwunsch und ebenso vielen Dank für die Hin- und Rückfahrt! Großen Dank auch an BW und die anderen Forchis für die Organisation.
Eine ausgedehnte Tour mit DD war schon länger angedacht und an diesem sehr sommerlichen Samstag sollte sie endlich in die Tat umgesetzt werden. Das Sonnenfiasko des vergangenen Donnerstags hatte mich dazu bewogen, meinen Teint mittels mineralischem Sonnenschutz erfolgreich mit meinem weißen Outfit abzustimmen. Dementsprechend selbstzufrieden fand ich mich „pünktlich“ um 10:05 Uhr an der Brücke ein. DD und FM, von dessen Anwesenheit ich mir eine zunächst mäßigende Wirkung versprach, warteten schon.
Die „Marginal Gains“-Philosophie befolgend, hatte ich die Grundlagen bereits am Vorabend in Form einer bewährten „All-you-can-eat“-Diät auf Einladung von FM und FW, einer rituellen Reinigung der Kette und einer weiteren Iteration in der Suche nach der perfekten Position der Pedalplatten gelegt. Trotzdem hatte ich großspurig angekündigt hinsichtlich meiner Sehnenprobleme auf meinen Körper zu hören, es nicht zu übertreiben und früh abzubiegen.
Dass dieser gute Vorsatz mit dem Anstieg von Waldprechtsweier nach Freiolsheim quasi unvereinbar war, hielt mich nicht davon ab, dort den Puls schon einmal hochzutreiben. Am Knöchel war nichts zu spüren und so ließ ich mich dazu hinreißen, doch länger dabeizubleiben. DD versicherte mir glaubhaft, dass das Tempo später aber entspannter sein würde, ja geradezu müsste.
FM verabschiedete sich schließlich vor der roten Lache und tatsächlich bewegte sich DD während dieses Anstiegs in seinem Rekombereich, sodass ich einigermaßen ungeschoren in seiner Begleitung den Gipfel erreichte. Davon beflügelt, fragte ich DD zaghaft, was noch so auf seinem Plan stünde und wurde nicht enttäuscht: Kaltenbronn. Ich ließ verlauten, dass ich dabei wäre, vorher aber noch dringend Sonnencreme auftreiben müsste.
Folgerichtig investierte ich in der nächsten Apotheke per Kartenzahlung ein halbes Monatsgehalt in eine Flasche mineralischen Sonnenschutz für Kinder (LSF 50+). Vermutlich war dessen Anwendung zwar ebenso ungesund wie Sonnenbrand selbst. Das hinderte mich jedoch nicht an der unmittelbaren und großzügigen Anwendung, die mich in eine wandelnde Fliegenfalle verwandelte. Zumindest war meine Hautfarbe nun wieder mit meinem Outfit konform.
Vor dem Anstieg nach Kaltenbronn benötigte ich eine Pinkelpause, um mich körperlich und mental so weit zu erleichtern, dass ich dazu in der Lage sein würde, Kaltenbronn zu erklimmen. Unglücklicherweise fuhr just während der Pause ein erstaunlich fit wirkender Radrennfahrer von Radsport-Rhein-Neckar an uns vorbei und machte sich ebenfalls auf den Weg nach zum Gipfel. DD merkte diesen schicksalhaften Zufall noch an, weitere Worte waren jedoch überflüssig. Es stand nicht zur Debatte, dass dieser Fahrer lange vor uns bleiben würde und übermütig führte ich uns in den Anstieg hinein. Nach kurzer Zeit war die Beute eingeholt und überholt. DD entschied sich daraufhin seinen Rekombereich zu verlassen und übernahm die Tempoarbeit. Auf der Höhe des Schwimmbades strich unser Begleiter schließlich die Segel und ich zog kurz in Erwägung, es ihm gleichzutun. Im Zuge eines beispiellosen Selbstbetruges hatte ich mir nämlich Hoffnungen gemacht, dass DD sein Tempo nun etwas humaner gestalten würde.
Dies war nicht der Fall und während ich keuchend an seinem Hinterrad hing, begannen in meinem Kopf die britischen Eurosport-Dummschwätzer das geschehen zu kommentieren. Das lief in etwa so ab: „Oh, we see DD setting a relentless pace at the front. Absolutely remarkable!“ Sean Kelly erwiderte mit seinem irischem Akzent: „Yeah, that’s true. JH seems quite suffering a little bit and his visibly digging deep here. He seems to be all over the road. I think we could see JH cracking today.“ Selten waren Sean Kellys Kommentare so zutreffend. Während DD, in erster Position fahrend, grazil und scheinbar ohne Mühe das Tempo machte, befand sich dieser weiß eingeschmierte Hampelmann mit Lauchgestalt an seinem Hinterrad kurz vor dem Kollaps. Der Schweiß lief in Strömen, der Mund stand sperrangelweit offen und das Keuchen hätte jeden Veterinär zu einer Notschlachtung veranlasst.
Schließlich presste ich hervor, dass ich mausetot sei und DD drosselte das Tempo genau so weit, dass ich absolut an der Schmerzgrenze dranbleiben konnte. Ich war heilfroh, als wir das Steilstück bewältigt hatten und DD sich damit zufrieden gab, dass sich unser anfänglicher Begleiter noch irgendwo viel weiter unten im Anstieg alleine schinden musste.
Es war von Vornherein klar gewesen, dass diese Tour an DD’s Seite nicht ohne Leiden über die Bühne gehen würde. Perverserweise hatte ich dieses Leiden geradezu herbeigesehnt. Alleine eiere ich ja doch nur in der Gegend herum und gehe nicht an die Schmerzgrenze. Ich bin DD dankbar, dass er das Tempo genau an meiner Schmerzgrenze entlangführte und ich in Form seines Hinterrades einen schönen Bezugspunkt hatte.
Der anschließende Rückweg durch das Enztal verlief geradezu gesittet. Aber das Eyachtal, das DD noch mitnehmen wollte, war mir entschieden zu hart. Mit einer weiteren Schicht Sonnencreme präpariert, trat ich also gemütlich die Heimfahrt über die Schwanner Warte an. Fazit: „What a day, what a ride, what a cleat setup!“
… die Gelegenheit, sich schadenfroh und ohne Reue an meinen alltäglichen Missgeschicken und Erlebnissen zu ergötzen.
Als weltweit tätiger Clean Chain Cycling Chief Evangelist möchte ich diese Webseite auch dazu nutzen, mehr Radsportler zum Clean Chain Cycling zu bekehren und ihnen die Ästhetik einer sauberen und gepflegten Fahrradkette vermitteln. In der Vergangenheit musste ich allzu oft akustisch, taktil und visuell erleben, dass nicht jeder meine Leidenschaft für eine gepflegte Fahrradkette teilt. Dies zu ändern, ist die Mission, der ich mein schöpferisches Wirken fortan unterordnen werde.
Nachdem meine Saison 2014 bis dato infolge des Ellenhakenabrisses ganz und gar nicht wie erhofft verlaufen war, lautete die Zielsetzung für den Samstag schlicht und einfach: Saisonrettung und die Erfüllung eines persönlichen Zieles. Nachdem ich das Rennen im Vorjahr gewinnen konnte, nicht verletzt oder erkältet war und die Wettervorhersage vielversprechend aussah, fehlte mir zudem eine Ausrede, um als Titelverteidiger nicht an den Start zu gehen. Insgeheim hoffte ich bei dieser sympathischen Veranstaltung natürlich wieder das Podium erreichen zu können.
Nachdem ich mich eine Stunde innerlich über den Gegenwind fluchend zum Start warmgefahren hatte, bekam ich das erste Mal die Gelegenheit die Konkurrenz genauer in Augenschein zu nehmen. Das Rennen war ähnlich besetzt wie im Vorjahr. Das machte mir einerseits Mut, andererseits war fraglich, ob meine eigene Form ebenfalls so gut war wie im Jahr zuvor. Aber genau das galt es nun herauszufinden. Die vorangegangene Trainingswoche stimmte mich vorsichtig optimistisch, obwohl ich mich von selbiger nicht so gut erholt hatte, wie ich es mir erhofft hatte.
Nun hatte ich also endlich wieder eine Nummer auf dem Rücken meines Zeitfahranzuges, der heute einfach überall zu zwicken schien. Da noch etwas Zeit bis zum Start verblieb, fuhr ich die Strecke ein letztes Mal ab. Die wechselnden Steigungsprozente und eine kleine Abfahrt inmitten der Strecke machen diese relativ unrhythmisch. Aber ich war im Gegensatz zum Vorjahr wild entschlossen meine vorher zurechtgelegte Taktik, die vorsah kraftvoll über alle Kuppen zu sprinten und im letzten und steilsten Abschnitt der Strecke noch einmal zu beschleunigen, in die Tat umzusetzen.
Mein Rad war geprüft, das obligatorische Energiegel war verspeist und die Trinkflasche entleert – Zeit für den Start.
Um schnell Geschwindigkeit aufzunehmen, gebe ich von Beginn an Vollgas. Das Adrenalin dämpft die Schmerzen und noch fühle ich mich gut. Jetzt meinen Plan umsetzen und das große Blatt auflegen. Gesagt, getan. Aber plötzlich ertönt ein unheilvolles Krachen von unten, ich trete ins Leere und mache beinahe den Abgang in die Botanik. Panik erfasst mich. Ist mir die Kette nur abgesprungen oder gar gerissen? Muss ich anhalten, um sie wieder aufzulegen?
Ich sehe nach unten, schalte wieder aufs kleine Blatt und die Kette springt wieder rauf. Glück gehabt und es geht weiter. Im ersten etwas flacheren Abschnitt klappt es mit dem großen Blatt. Aber auch das Adrenalin kann die Schmerzen nun nicht mehr unterdrücken und das Leiden beginnt. Meine Pulswerte sind schön hoch und bislang komme ich gut voran. Im nächsten Steilstück sehe ich einige vor mir gestartete Fahrer, die mich weiter motivieren. Nachdem ich die ersten drei oder vier kassiert habe, nähere ich mich der ersten Kuppe. Laut Masterplan trete ich nun voll an, um über die Kuppe zu sprinten und Zeit in der Abfahrt herauszuholen. Allein meine Beine und Lunge verweigern sich und ich krieche in gefühlter Zeitlupe weiter.
In der Abfahrt kann ich die nächsten beiden Kontrahenten abstellen und in der darauffolgenden Senke einen weiteren Fahrer passieren. Nach einer kurzen, etwas flacheren Passage wartet das steilste Stück der Strecke, auf dem ich noch einmal merklich zulegen will. Ein weiteres Mal muss ich feststellen, dass ich schlichtweg am Limit bin und nicht mehr zulegen kann.
Mittlerweile bin ich vollkommen in der seltsamen Krümmung von Raum und Zeit angelangt, die jedes Einzelzeitfahren bestimmt und zur Berechnung der verbleibenden Strecke wohl die allgemeine Relativitätstheorie erfordert. Abgesehen davon, dass ich dazu nicht einmal bei klarem Kopf in der Lage wäre, bringe ich dieses viel zu lange Steilstück mit schmerzverzerrtem Gesicht hinter mich und nähere mich dem letzten Teil der Strecke. Hier ist ein kraftvoller Sprint von ca. 300 m bis zur Ziellinie gefragt. Ich habe jedoch keinerlei Reserven, um mich aus dem Sattel zu erheben und rolle weiter im Tunnel dahin. Zum Teufel mit allen Plänen. Nichts geht mehr. Ich bin froh über meine Sonnenbrille, die den Zuschauern meinen leeren Blick erspart.
Als ich endlich die Ziellinie passiert habe, beginnen sich Raum und Zeit wieder zu entkrümmen, der Blutgeschmack im Mund lässt nach und der Brechreiz verschwindet auch wieder. Eine sodann mögliche, etwas objektivere Beurteilung ergibt eine Fahrzeit, die sich ungefähr auf dem Niveau des Vorjahres bewegt. Ein paar starke Fahrer kommen jedoch noch, deshalb weiß ich nicht, ob sich die Schinderei gelohnt hat.
Letztendlich stellt sich heraus, dass es sich gelohnt hat und ich meine Saison durch die Titelverteidigung noch abrunden konnte. Dadurch habe ich auch das oben genannte persönliche Ziel erreicht. Ich hatte mir vorgenommen Gis in dieser Saison noch einen Sieg widmen zu können. Dies möchte ich hiermit tun. Die Gedanken an sein Leiden, haben die Schmerzen im Laufe meiner Ellenbogenverletzung und während des Wettkampfes lächerlich gering erscheinen lassen und die Trauer war eine zusätzliche Motivation, alles zu geben.
Rundum zufrieden und um einen Pokal sowie eine Flasche Sekt reicher, machte ich mich entspannt auf den Heimweg.