Trainingslager Mallorca 2017

Bereits vor dem Abflug im letzten Jahr hatte ich die Absicht, auch in diesem Jahr wieder mit Ben und weiteren passionierten Radsportlern eine Woche zum Training auf Mallorca zu verbringen. Dank Ben musste ich mich im Vorfeld wieder um gar nichts kümmern, was sicher ausschlaggebend dafür war, dass aus dem Traum tatsächlich Realität wurde. Nun sind diese acht bemerkenswerten Tage gerade verflogen und die Gelegenheit somit günstig, um die auf den Straßen Mallorcas gesammelten Eindrücke – im buchstäblichen wie sprichwörtlichen Sinne – zu verarbeiten.

1_25.3.17_Anreise & Einrollen

Unser Flug sollte bereits im Morgengrauen abheben, sodass es sich kaum lohnte, überhaupt ins Bett zu gehen. Ich zog es trotzdem vor, zumindest kurz zu schlafen. Die vorige Nacht war bereits wenig erholsam gewesen, da ich unfreiwilligerweise noch „Gewicht machen“ musste.

Rechtzeitig zum Abflug waren alle durchfallartigen Symptome jedoch verschwunden und ich begab mich einigermaßen hoffnungsvoll in den Flieger. Nach einer seidenweichen Landung auf Mallorca und einem schnellen Transfer zum Hotel konnten wir unsere Leihräder bereits am Vormittag abholen. Nachdem alle Räder an unsere persönlichen Vorlieben bezüglich Sattel, Vorbaulänge und Sitzposition angepasst waren, war es auch schon Zeit, die Radkleidung anzulegen.

Profi-Selfie vor dem Start. Bild: Mr. Selfie

Den ungeschriebenen Gesetzen des Trainingslagers folgend, musste die Tour zum „Einrollen“ hinaus auf zu Cap Formentor führen. Mit der im Voraus angekündigten sehr lockeren Fahrweise war es jedoch nicht so weit her.

Um letzte Selbstzweifel hinsichtlich meines Gesundheitszustandes zu beseitigen, sah ich mich genötigt, meine Beine zu „öffnen“. Zudem hatte ich den Druck auf mich selbst wirkungsvoll durch Anlegen meines kompletten Profiteam-Poser-Outfits vergrößert.

Derart angezogen galt es nun mit einer zugleich eleganten, schnellen und mühelosen Fahrweise das Leihrad in Betrieb zu nehmen. Gleichzeitig gab ich mir Mühe, die außerordentlich zahlreichen anerkennenden Grüße anderer Radsportler möglichst lässig professionell zu erwidern und in mich hinein zu lachen. Um mein Poser-Outfit im Stile eines großen Champions zu komplettieren, trug ich am ersten Tag noch Beinlinge. Ich missbrauchte sie allerdings dazu, mein Winterfell zu kaschieren. Die Beinbehaarung überlebte den Tag selbstverständlich nicht.

Angesichts des guten Wetters, der ausgeruhten Stelzen und des in ferner Zukunft liegenden Abendessens beschloss ein Teil der Truppe, die Tour noch etwas auszudehnen und ein erstes Mal „die Tankstelle“ anzufahren. So stand nach dem Einrollen bereits eine Tour zu Buche, mit der wir uns erfolgreich für ein ausgiebiges Abendessen qualifiziert hatten.

2_26.3.17_Ready, Set, Go, Die

Die Tourenplanung übernahmen wieder – wie im Vorjahr auch – Ben und Bojan, sodass ich morgens nicht so genau wusste, worauf ich mich da eigentlich eingelassen hatte. Ich fuhr einfach nur hinterher. Dabei wurde recht schnell deutlich, dass das Trainingslager kein Spaziergang werden würde. So langsam merkte ich doch, dass meine Speicher infolge der Durchfallerkrankung trotz voluminöser Portionen noch nicht vollständig regeneriert waren. So war es vermutlich mental von Vorteil, dass mein Garmin nach der Mittagspause den Dienst quittierte und ich von da an nicht mehr wusste, wie lange und wie schnell wir bereits unterwegs waren. Gegen Ende der Runde war ich jedoch richtig bedient, konnte kaum noch die Hinterräder halten und war richtiggehend erleichtert, als das Hotel in Sicht kam.

3_27.03.17_Straßeneindrücke sammeln

Nachdem ich vermutlich nicht der Einzige gewesen war, dem die Tour des Vortages etwas an die Substanz gegangen war, gab das große Gremium der Tourenplaner meinem Ansuchen nach Linderung statt und stellte eine Route zusammen, die etwas kürzer war. Um nicht den Eindruck übermäßiger Gutmütigkeit zu hinterlassen, wurde die Anzahl der Höhenmeter jedoch entsprechend angepasst. Ich gab mich damit zufrieden, zumal ich heute endlich den bildschönen Anstieg nach Sa Calobra – und die berüchtigte Abfahrt davor – kennenlernen sollte. Voller Vorfreude, Zuversicht und etwas übermütig führte ich die Gruppe in die Abfahrt hinein.

In einer Kehre kam es, wie es kommen musste. Ich bekam einen bleibenden Eindruck der Asphaltbeschaffenheit verpasst. Eine unheilvolle Kombination aus zu hoher Geschwindigkeit, feuchtem Asphalt und Bremsruckeln sorgte dafür, dass mein Vorderrad ins Rutschen geriet und ich mich kurze Zeit später vor Schmerzen auf der Straße wälzte. Der zweite „richtige“ Tag und schon lag ich auf der Fresse. Das konnte ja noch heiter werden. Zumindest habe ich seitdem ein schönes Beispiele für den Stick-Slip Effekt (zwischen Bremsbelag und Felge) parat.

Glücklicherweise waren sowohl mein Rad als auch die Straße unbeschadet davongekommen, sodass die ganze Truppe kurze Zeit später weiterfahren konnte. Als es nach der Mittagspause den Anstieg wieder hinaufging, hatte ich trotz meiner Schürfwunden noch gute Beine und abgesehen davon, dass meine Hose auf der blutenden Wunde klebte, spürte ich glücklicherweise keine Einschränkungen.

Erst als ich mich im Hotel meiner Radkleidung entledigte, wurde offenbar, dass bald eine weitere Narbe meinen Oberschenkel zieren wird. Glücklicherweise war in unserer Gruppe ein Arzt dabei, der mir zuerst eine Reiseapotheke einkaufen ging, danach die Wunde begutachtete und mich anschließend fachmännisch verarztete. Für diese Dienste möchte Nik aka Dr. P von ganzem Schenkel danken!

Egal wie gut solche Wunden versorgt werden, schlafen lässt sich damit nur mittelprächtig. Glücklich darüber, dass ich keine schlimmeren Verletzungen erlitten hatte, schlief ich den Umständen entsprechend allerdings sehr gut.

4_28.3.17_Loch und Löcher

Nachdem ich die erste Stunde auf dem Rad gewohnheitsmäßig damit zugebracht hatte, eine gute Ladung des Frühstücksbüffets bei mir zu behalten und zu verdauen, konnte ich meine Beine endlich richtig in Betrieb nehmen und mich an der Tempoarbeit beteiligen. Meine Wunden behinderten mich glücklicherweise kaum. Die großzügige Applikation mineralischen Sonnenschutzes verlieh mir nicht nur eine edle Blässe. Mich plagte infolgedessen untypischerweise auch kein Sonnenbrand.

Nachdem es am Vortag – abgesehen von meinem Sturz – bereits gut gelaufen war, funktionierten die Beine heute endlich richtig gut. So gut, dass ich gegen Ende der Runde möglichst lange Führungen fuhr und sich andere Fahrer an meiner Seite abwechselten. In der allgemeinen Heiterkeit während eines solchen Wechsels passierten wir einen unscheinbaren Baum am Straßenrand. Tükischerweise befand sich in seinem Schatten ein schwer auszumachendes Schlagloch der Sorte, wie sie auf deutschen Straßen nicht vorkommen. Mein direkter Hintermann und ich umkurvten das Loch elegant in letzter Sekunde. Bevor unser Gebrüll jedoch die anderen erreicht hatte, setzte es zwei imposante Schläge. Zu unserem großen Glück, mussten wir danach nur zwei Platten beheben und einen Lenker richten. Alle konnten einen Sturz vermeiden und sich während der Reparaturpause über andere Radgruppen amüsieren, die dem Loch knapp entrinnen konnten.

Unser Heimweg führte uns zudem nach Búger, wo wir am ersten Tag eine ekelhafte Rampe herabgefahren waren, die wir nun in Gegenrichtung bezwingen wollten – naturgemäß viel dynamischer als die Profis dies im Video ab 0:48 tun. Nach den ersten Metern erkannte ich die absolute Notwendigkeit einer 34-32 Übersetzung und gelobte feierlich diese künftig nicht mehr in Frage zu stellen. Mein Respekt galt Nik, der nach gut 190 km souverän mit einer Standardübersetzung dort hinüberfuhr. Nachdem alle die Stehversuche an der Rampe überlebt hatten, wurde unser Todesmut während der Heimfahrt im Gegenwind damit belohnt, dass eine ehemals professionelle Straßenradsportlerin kurz unseren Windschatten genoss.

5_29.3.17_Profi-Ruhetag

Nach vier Tagen ausgiebigen Trainings war es an der Zeit, es lockerer angehen zu lassen, um sich ausgeruht dem abschließenden dreitägigen Trainingsblock des Urlaubes stellen zu können. Der Himmel war wieder strahlend blau und eine weitere Tour in Richtung Cap Formentor drängte sich auf, um die Beine aufzulockern und in der Sonne zu regenerieren.

Um nicht nur die wärmenden Strahlen der Sonne sondern obendrein noch die Bewunderung anderer Radler absorbieren zu können, zog ich wieder meine Profikluft an. Allerdings war es ohne Arm- und Beinlinge wohl zu offensichtlich, dass ich nur ein vollkommen ausgelaugter Radtourist war, als dass mich noch jemand für einen ansatzweise respekteinflößend sportlichen Fahrer gehalten hätte, den man anerkennend grüßt. Die von Toni an den Tag gelegte Unzerstörbarkeit, der auch am Ruhetag unermüdlich weitertrainierte, deprimierte mich noch zusätzlich. Um diesen Frust zu überwinden, lud ich meine Teller beim Abendessen daher besonders häufig besonders voll – zumindest darin erlangte ich langsam routinierte Professionalität.

6_30.3.17_Der Küstenklassiker

Die ausgeruhten Beine mussten genutzt werden, sodass wir den wunderschönen Küstenklassiker im Uhrzeigersinn in Angriff nahmen. Diese klassische Tour führt die gesamte Küstenstraßen an der Nordwestküste der Insel entlang und beinhaltet als besonderes Glanzlicht noch den höchsten Pass der Insel. Daher waren insgesamt ca. 220 km mit knapp 3500 Höhenmetern zu bewältigen.

Meine Sturzverletzungen waren am Vortag kaum spürbar gewesen, drängten sich heute jedoch unangenehm penetrant in meine Wahrnehmung. Der fette Bluterguss am rechten Oberschenkel machte sich dadurch bemerkbar, dass ich ständig das Gefühl eines Krampfansatzes hatte. Nicht die besten Aussichten für einen langen und harten Tag im Sattel.

Das Problem erledigte sich nach einigen Stunden allerdings. Denn nun fühlte sich mein linker Oberschenkel auch so kaputt an, dass kein Unterschied mehr festzustellen war. Ein ungemein beruhigendes Gefühl.

Nach einer kurzen Druckbetankung nahm die ganze Truppe die Küstenstraße in Angriff. Manch einer wähnte sich schon allzu früh in trügerischer Sicherheit und verlor merklich an Lebenslust, als ihm während der Steigungen entlang der Küstenstraße offenbart wurde, dass der mit Abstand längste Anstieg des Tages noch bevorstand. Vor dem Puig Major legten wir daher noch eine Kaffeepause ein, um die Lebensgeister erneut zu wecken respektive wiederzubeleben.

Dergestalt mental und physisch gestärkt, ging es hinein ins Vergnügen. Abgesehen vom ungewohnten Gefühl des Krampfansatzes in meinem rechten Oberschenkel, waren meine Beine auch wieder erstaunlich gut in Schuss und ich fand schnell einen guten Rhythtmus an meiner Schwelle. Da die anderen meinen Sweet Spot offenbar nicht so süß fanden, war ich bald alleine unterwegs. Ich kostete es voll aus, sämtliche Radsportler, die in Sicht kamen, erst einzuholen und dann zu überholen.

Auch den Rest des Heimweges erwiesen sich meine Beine als ausdauernd. Insgeheim war ich überaus dankbar, dass sie mir damit die Leiden, die sich in den Gesichtern mancher meiner Begleiter widerspiegelten, ersparten. Gerade angesichts meiner absolut miesen Konstitution zu Beginn des Tages, ritt ich nun bis zur Ankunft im Hotel auf einer Welle von Glückshormonen quasi schmerzfrei dahin. So konnte es gerne weitergehen.

 

7_31.3.17_Game over?

Am Vorabend noch auf dem Weg zur gefühlten Unbesiegbarkeit unterwegs gewesen, war ich über Nacht zum Aufbaugegner für Radtouristen am Ruhetag mutiert. Während der Nacht merkte ich, wie meine Nasennebenhöhlen verstopften und ich kaum eine Position fand, in der ich sowohl atmen als auch schmerzfrei liegen konnte.

In diesem Zustand entschied ich mich dagegen, mit der performanten Gruppe aufzubrechen. Stattdessen legte ich eine Extrarunde am Frühstückstisch ein und verabredete mich etwas später mit zwei weiteren Patienten zu einer tiefenentspannten Runde.

Ich wählte etwas zu warme Kleidung, um einen guten Indikator zu haben, ob mein Tempo zu rasant war. Meine Beine fühlten sich zwar nicht schlecht an, aber angesichts meiner Nebenhöhlen wollte ich kein Risiko eingehen.

Als wir uns nahe Randa zur Kaffeepause eingefunden hatten, fasste ich dennoch den Plan, dort hinaufzurollen. Schließlich war noch eine Herausforderung von Strava abzuschließen.

Den Heimweg bestritt ich wieder außerordentlich entspannt, sodass ich die herrliche Umgebung noch einmal genießen konnte. Für den Fall, dass Schnupfen oder Wetter am nächsten Tag Spielverderber sein sollten, hätte ich zumindest eine angenehme Abschiedsrunde gehabt.

 

8_1.4.17_Windiger Abschiedsgruß

Mein kleiner Schnupfen war über Nacht deutlich besser geworden und ich fühlte mich wieder fit. Auch der angekündigte Regen verhielt sich radfahrerkonform und wütete über Nacht.

Ready to go again. Bild: Mr. Selfie

Guter Dinge schloss ich mich deshalb wieder der performanten Trainingsgruppe an. Den Beteuerungen und Wehklagen aller Beteiligten  – mich eingeschlossen – zum Trotz, legten wir von Beginn an ein solides Tempo vor.

Leider hatten wir uns mit dem Wind verschätzt, sodass uns selbiger auf der Heimfahrt abartig ins Gesicht blies. Als wir uns dem Hotel näherten standen nach etwa 110 km trotzdem unbefriedigenderweise weniger als dreieinhalb Stunden auf der Uhr. Daher entschloss ich mich dazu, noch einmal in Richtung Cap Formentor aufzubrechen, obwohl der Himmel mittlerweile zugezogen war und es schon nach Regen roch.

Ein Mitstreiter, der mich erst auf die Idee gebracht hatte, noch weiter zu fahren, strich trotz meiner Überredungskünste bereits nach kurzer Zeit die Segel und kehrte um. Ich wollte jedoch noch nicht aufgeben und fuhr weiter bis zur Kuppe des ersten Anstieges. Danach hatte ich die Schnauze auch gestrichen voll, war vollkommen ausgelaugt und heilfroh, dass der Wind von nun an zu meinen Gunsten stehen würde. Ich hatte sogar noch das Glück, nicht vom Regen erwischt zu werden und erreichte das Hotel trockenen Fußes.


Im Gegenwind des letzten Tages kam mir schließlich noch ein bahnbrechender Einfall, wie ich meine Aerodynamik auf dem Rad schlagartig um Welten verbessern konnte. Daniel und Mr. Selfie hatten es bereits vorgemacht und ich war nun bereit, ihnen zu folgen. Wie bei den beiden, sollte Ben meine Mähne radikal auf eine Länge von 2 mm kürzen. Und Ben lieferte eine echte Meisterleistung ab. Hochzufrieden mit meinem neuen Haarschnitt, versetzte ich mein Rad wieder in den Ursprungszustand, wusch es und gab es zurück.


Jetzt standen nur noch zwei epische Mahlzeiten am Buffet – ein Abendessen und ein Frühstück – auf dem Plan. Nicht nur meine Beine waren in den letzten Tagen in Form gebracht worden. Auch meine Verdauung hatte ich einem harten Training unterworfen, dessen Resultate sich wirklich sehen lassen konnten.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass die acht Tage rasend schnell vorbei waren. Den perversen Rhythmus eines Trainingslagers aus Schlafen, Fressen, Toilettengängen und Radfahren sowie die super Stimmung in der Gruppe werde ich für ein Jahr schmerzlich vermissen.

8 Tage Trainingslager_Die Abrechnung

Distanz: 1250,6 km

Dauer: 44h 16min

Aufstieg: 14925 m

Sonnenuntergang in der Bucht von Alcúdia.

 

 

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