Schon vor Ablauf der Saison 2015 bedachte mich BW mit einer „Einladung“ zu dem von ihm organisierten Trainingslager auf Mallorca Anfang März. Es dauerte für meine Verhältnisse vergleichsweise kurz, bis ich meinen Geiz überwunden hatte und zusagte. Wie es sich für einen deutschen Weltbürger gehört, führte mich mein erster Urlaub, den ich mir selbst finanziert hatte, also nach Mallorca.
Die Woche vor dem geplanten Trainingslager verbrachte ich auf einer Fachkonferenz im überraschend pittoresken aber kühlen Braunschweig. Nachdem ich den gesamten Winter hindurch fit gewesen war, erkältete ich mich am vorletzten Tag der Konferenz infolge einer unheilvollen Kombination aus Schlafmangel, Fitnessstudio, falscher Kleidung und eklatantem Leichtsinn. Dass ich trotzdem nach Mallorca aufbrechen würde, stand außer Frage. Aber ich stellte mich mental schon darauf ein, ein Alternativprogramm zum Trainingslageralltag ins Auge fassen zu müssen.
Nachdem ich Freitagabend heimgekommen war, blieben nur wenige Stunden Zeit, meinen Koffer erneut zu packen, bis mich BW in den frühen Morgenstunden des Samstages zum Flughafen chauffieren würde. Vollkommen übermüdet, mit einer grandiosen Rotznase und in hohem Maße erholungsbedürftig trat ich so mein erstes Trainingslager an.
Tag 1 – Anreisetag
Unser Hotel, das BW schon die Jahre zuvor besucht hatte, lag in Port d’Alcudia im Norden der Insel und war der Archetyp einer Bettenburg in Strandnähe. Unser Zimmer bot jedoch Grund zur Freude, weil es sich dabei praktisch um ein Penthouse mit Dachterasse handelte Einziger Wermutstropfen war, dass das Hotel-WLAN nicht bis in diese Sphären reichte. Dies sorgte insbesondere bei mir für Unmut, da ich mir gemütliche Tage am Laptop ausgemalt hatte, um mich zu erholen und mir einen Grundwortschatz in Spanisch anzueignen, der über Gracias, Sangria und Hola hinausgeht, um nicht jedes Klischee des typischen Ballermannbesuchers zu erfüllen. Nachdem uns jedoch schon die Mitarbeiter am Flughafen mit einem Deutsch begrüßt hatten, das jeden Bayer vor Neid hätte erblassen lassen, war meine Motivation dahingehend nun jedoch endgültig erloschen.
Der Radverleih befand sich direkt im Hotel, sodass wir noch vormittags unsere nagelneuen Räder fachmännisch in Augenschein nahmen und einstellten. Nach einem morgendlichen Regenguss waren die Straßen mittlerweile wieder trocken und die anderen beiden Mitreisenden aus Karlsruhe machten sich direkt auf zu ihrer ersten Trainingstour; ich verkroch mich mit einem Buch auf dem Schlafsofa. Später lockte mich der Strand doch noch nach draußen. Aber der Geruch der Seeluft, die mich möglichst schnell heilen sollte, entzog sich leider meiner olfaktorischen Wahrnehmung.
Das Essen am Hotelbuffet schmeckte leider nach gar nichts. Dies lag aber in keinster Weise an den Speisen, sondern wiederum an meiner Erkältung, wie ich mit zunehmender Besserung selbiger feststellen durfte. Denn sowohl Frühstücks- als auch Abendbuffet waren wirklich bemerkenswert in Vielfalt und Geschmack der Gerichte. Auch sämtliche Ängste, ich könnte als Veganer hungrig den Tisch verlassen müssen, wurden binnen kürzester Zeit zerstreut. Zu meinem Problem sollte vielmehr werden, rechtzeitig mit dem Essen aufzuhören, bevor ich komplett bewegungsunfähig war. BW hatte hinsichtlich des Buffets den Mund im Vorfeld nicht zu voll genommen. Auch meiner Vorliebe für Knoblauch wurde Sorge getragen. Dementsprechend war ich zuversichtlich, schnell wieder wohlauf zu sein.
Tag 2 – Matschbirne
Nach einer durch hartnäckigen Schleim beeinträchtigten Nacht, versprach ich mir nicht allzu viel vom Tag und feilte an meiner Taktik, die Tage möglichst erholsam und kurzweilig hinter mich zu bringen. Der erste spielentscheidende Schachzug bestand darin, sich beim Frühstück den Bauch so vollzuschlagen, dass ich hinterher gar nicht erst auf die Idee kam, mit den anderen aufs Rad zu steigen, sondern mich für mehrere Stunden nur noch nach den Sesseln in der Lobby sehnte. Das Buffet unterstützte mich mit einer Vielfalt an frischem Obst und anderen Köstlichkeiten vorbildlich bei der Umsetzung dieser Taktik und ich verspürte keinerlei Bedarf, mich im Anschluss an das Frühstück mehr als nur unbedingt notwendig zu bewegen. Später am Tag unternahm ich doch noch eine Spazierfahrt, um mein Rad weiter zu justieren, sowie einen Spaziergang. Das Abendessen wollte schließlich auch noch in Angriff genommen werden.
Tage 3 bis 5
Am dritten Tag war mein Geschmackssinn zumindest größtenteils zurückgekehrt. Meine Frühstückstaktik, die sich so sehr bewährt hatte, behielt ich sicherheitshalber bei, um nicht Opfer leichtsinniger Ideen zu werden. Ich war aber immerhin wieder so unternehmungslustig, meinen Hintern drei Stunden auf den ungemütlichen Sattel des Leihrades zu pflanzen, spazieren zu fahren und festzustellen, dass Hinterrad und Sattel nicht kompatibel waren.
Ich ärgerte mich kurz, meinen eigenen Sattel zuhause gelassen zu haben, obwohl mich BW, der mit meinen Material- und Stilneurosen (zu seinem Leidwesen) äußerst vertraut ist, genau davor gewarnt hatte. Aber der Radverleih im Hotel war glücklicherweise so freundlich, mir mit einem anderen Sattel auszuhelfen. Unsere Trainingsgruppe wurde mittlerweile auch durch zwei nette Mitglieder des FOCUS Rapiro Racing Teams verstärkt.
Das Tempo meiner Fahrten war auch an den Tagen vier und fünf sehr verhalten. Weil jedoch viel Zeit war, legte ich trotzdem erträgliche Distanzen zurück – in Ermangelung jeglicher Tourenplanung leider größtenteils auf Hauptstraßen. So konnte ich zunächst nicht nachvollziehen, weshalb Mallorca unter Radsportlern einen so legendären Ruf genießt. Aber meine Erkältung wurde nun spürbar besser. Während der Druck auf den Nasennebenhöhlen abnahm, verspürte ich langsam wieder solchen in meinen Beinen.
Tag 6 – Einstieg ins Training
Am sechsten Tag des Trainingslagers fühlte ich mich endlich dazu imstande, mit der Gruppe aufzubrechen. Obgleich ich natürlich geplant hatte, nach spätestens zwei Stunden die Beine hochzunehmen und sie fahren zu lassen, wurde daraus nichts. Entzückt darüber, dass ich endlich wieder Gas geben konnte, ohne mich gleich zu fühlen, als hätte mir jemand eine Bratpfanne auf den Kopf gehauen, testete ich mich hinauf zum Puig de Randa. Das Resultat war einigermaßen zufriedenstellend und auch meine Nase war mittlerweile frei. Obendrein war die Route diesmal fachmännisch geplant worden, führte über kleine Sträßchen abseits des Verkehrs und in die malerischen Ecken Mallorcas. BB von FOCUS Rapiro hatte wirklich ganze Arbeit geleistet.
Deshalb beschloss ich, den ganzen Tag in der Gruppe zu fahren. Ich wusste, dass ungefähr 200 km mit 1800 Höhenmetern auf dem Plan standen und sah die Chance gekommen, die Marke von 200 km relativ schmerzfrei abzuhaken. Nachdem ich mich nach ungefähr 170 km an einem kleinen Anstieg aus dem Leben genommen hatte, wurde die letzte Stunde jedoch ausgesprochen schmerzhaft und hässlich. Ich war komplett am Ende und hoffte einfach, die Gruppe halten zu können, denn BW machte ordentlich Tempo – er wollte verständlicherweise pünktlich zur Eröffnung des Buffets zurück im Hotel sein. Heilfroh darüber die Gruppe gehalten, es pünktlich ins Hotel geschafft sowie meine Erkältung überwunden zu haben, schmeckte das abendliche Buffet gleich noch besser.
Tag 7 – Die Ruhe vor dem Sturm
Am vorletzten Tag des Trainingslagers sollte ein etwas lockererer Tag die Ermüdung lediglich konservieren, jedoch nicht weiter verschlimmern. Der gesamten Truppe steckte die Belastung des Vortages noch in den Knochen und so wurde eine Route gewählt, die unterwegs einige Möglichkeiten abzukürzen beinhaltete.
Sträflicherweise hatte ich mich am Vorabend ohne echte Leidenschaft und nur sporadisch über die Faszienrolle gewälzt, sodass meine Beine vom Vortag noch komplett zerstört waren. So übte ich mich zunächst darin, den Windschatten der anderen möglichst effektiv zu nutzen und mein Frühstück zu verdauen. Nach ungefähr zwei Stunden gingen meine Beine gnädigerweise doch noch auf und ermöglichten mir auf dem letzten Drittel der Tour sogar, noch etwas Windschatten zu spenden. Die Tour führte erneut über wenig befahrene Nebenstraßen, die jedoch teilweise mit Schlaglöchern übersät waren, sodass wir den einzigen Defekt der Woche, in Form eines Plattens, zu beklagen hatten. Auch unser Sitzfleisch wies mittlerweile deutliche Verschleißerscheinungen auf und am nächsten Tag wartete in Gestalt des Küstenklassikers noch eine lange Tour mit vielen Höhenmetern, sodass während des Abendessens Wehklagen, Heulen und Zähneklappern jegliche sinnvolle Unterhaltung effektiv unterbunden.
Tag 8 – Absch(l)usstour
Während des Frühstücks war erneut Heulen und Zähneklappern angesagt, wobei jedoch sowieso nicht viel Zeit zum Reden vorhanden gewesen wäre, da wir zeitig aufbrechen wollten, um das Abendessen nicht zu verpassen. Ich hatte mich am Vorabend sowie am Morgen voller Freude der Faszienrolle hingegeben, sodass sich meine Beine nicht ganz so übel anfühlten wie am Vortag. Aufgrund der anvisierten Gesamtdistanz der Tour von 220 km und über 3000 Höhenmetern begannen wir den Tag mit einem gesitteten Tempo und erfreuten und zeitweise an den wärmenden Strahlen der Frühlingssonne.
Leider waren zwei Mitglieder unserer Gruppe bereits nach 60 km der Meinung, dass sie lieber abkürzen würden, wobei abstruse Dinge wie Erschöpfung und Müdigkeit als Ausreden missbraucht wurden, um sich aus dem Staub zu machen. Die verbliebenen Drei setzten die Fahrt auf der malerischen Straße entlang der Nordküste Mallorcas fort und genossen die Aussichten, Abfahrten sowie Anstiege in vollen Zügen.
Nach über fünf Stunden Fahrtzeit und ungefähr zwei Dritteln der Distanz erreichten wir endlich den Ort, den wir uns für die herbeigesehnte Kaffeepause ausgesucht hatten. In einem unscheinbaren Kaffee, dass sich als ausgezeichnetes Feinschmeckerrestaurant mit Radsportaffinität entpuppen sollte, setzten wir uns zur Rast. Um meinen vollmundigen Ankündigungen, ich würde auf dem Heimweg das Tempo machen, auch nur ansatzweise gerecht werden zu können, wusste ich, dass ich nun alle Register ziehen musste und bestellte mir einen starken schwarzen Kaffee. Dazu genoss ich ein halbes Kilo Trockenfrüchte sowie einen sensationellen frisch gepressten Orangensaft, sodass ich einigermaßen wiederhergestellt die Heimfahrt antreten konnte.
Ich profitierte davon, Koffein nur in „Notsituationen“ zu konsumieren und genoss die anregende Wirkung auf der Heimfahrt ausgiebig, indem ich während den restlichen 70 km ordentlich Tempo machte. Meine Beine fühlten sich überraschenderweise wieder richtig gut an. Mein Ziel, mir vollkommen die Lichter auszuschießen, erreichte ich aber beruhigenderweise ungefähr zehn Kilometer vor der Heimkehr. Meinen Begleitern erging es jedoch nicht besser und sie begnügten sich weiterhin damit, mir von hinten dabei zuzusehen, wie ich mich ins Delirium fuhr. Zurück in Port d’Alcudia sah ich dann endgültig Sternchen, sodass ich heilfroh war, nach beinahe acht Stunden Fahrtzeit wieder am Hotel zu sein. Ich putzte schnell mein Rad, mich selbst, gab das Rad zurück und stürzte mich auf das letzte spektakuläre Buffet, bevor ich mich wieder selbst würde verpflegen müssen.
Insgesamt kamen während der acht Tage trotz meiner Erkältung 900 km zusammen, sodass ich mich zufrieden auf die Heimreise machte. Für die geniale Routenplanung (custom epic) und Navigation (pure class) ziehe ich vor BB von FOCUS Rapiro den Helm. Mein besonderer Dank für die Motivation und tolle Planung des Trainingslagers gilt natürlich BW, dessen Organisationstalent einfach ein Segen ist. Ich hoffe bereits jetzt, nächstes Jahr wieder dabeisein zu dürfen.
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