Die rote Ampel, die Zivilstreife und ich. Ein Denkzettel.

Obwohl ich mich heute aufgrund leichten Halskratzens nicht wirklich fit fühlte, wollte ich den warmen Sommerabend doch zu einer kleinen Tour nutzen. Auf dem Weg durch die Felder konnte ich sogar die ersten Äpfel der Saison ernten und machte mich mit vollen Trikottaschen zurück auf den Heimweg. Wie gewöhnlich herrschte bei den meisten Ampeln, die meinen Weg verschönerten „Radlergrün“ vor. Deshalb machte ich mir keine weiteren Gedanken, als ich die Grünphase an einer größeren Kreuzung ebenfalls spürbar ausweitete.

Wenig später sollte sich dies als fatal herausstellen. Einen knappen Kilometer nach der Ampel parkte ein grauer Kombi, der von zwei schneidigen Beamten in meinem Alter flankiert wurde, auf dem Radweg, den ich heute (vorbildlicherweise) nutzte. Anders als erhofft, wurde dieser Umstand von den eifrigen Ordnungshütern jedoch nicht mit Anerkennung gewürdigt. Sie machten mich vielmehr auf meine soeben begangene Ordnungswidrigkeit aufmerksam, die ich auch nicht abstritt.

Was nun folgte, war eine Zurechtweisung und Rechtfertigung, deren logische Geschlossenheit mir zumindest fragwürdig erscheint. Mir wurde zur Last gelegt, die rote Ampel missachtet zu haben – dieser Tatbestand trifft vollkommen zu – und dadurch andere Verkehrteilnehmer, in diesem Fall die beiden Polizisten in ihrem Streifenwagen, gefährdet zu haben – hier hege ich doch gewisse Zweifel.

Paradoxerweise versuchten mir die beiden glaubhaft zu vermitteln, dass sie sich eigentlich um meine Gesundheit sorgten und deshalb einschritten, bevor ich an der nächsten Ampel zu Tode gekommen wäre. Denn als Radfahrer sei ich es, der unter einer Kollision zu leiden habe. In diesem Fall würde mich auch der Helm nicht schützen und ich hätte mit großer Sicherheit Knochenbrüche, Prellungen und Schürfwunden davongetragen. (Als ob ich dafür erst mit einem Auto zusammenstoßen müsste.)

Meine beiden Schutzbefohlenen gaben sich eine geschlagene Viertelstunde große Mühe sowohl die Sorge um meine Gesundheit als auch ihren erlittenen Schock, aufgrund der von mir in Kauf genommenen Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer, insbesondere ihnen selbst, eloquent zum Ausdruck zu bringen. Da sie als Zivilstreife unterwegs waren, hätte die Hemmschwelle zu reagieren, naturgemäß hoch gelegen. Aber diese schwerwiegende Ordnungswidrigkeit mussten sie sofort ahnden.

Ich erfuhr auch, dass es ein recht kostspieliger „Denkzettel“ werden würde, den sie mir auf den Heimweg sowie meinen weiteren Lebensweg mitgeben würden. Insgesamt belief sich die Ausbeute auf 160 € Bußgeld, eine Anzeige und zwei Punkte. Ziemlich viel Geld für einen lausigen Durchschrieb, der in einer ungelenken Handschrift ausgefüllt worden war. Wie nachhaltig sich dieses Wertpapier entwickelt, kann ich natürlich noch nicht abschätzen. Aber ich bin der festen Überzeugung, eine sinnvolle Investition getätigt zu haben. Denn die Bußgeldstelle wird mir gegen eine läppische Bearbeitungsgebühr von 25 € glücklicherweise noch eine ordnungsgemäße Rechnung zukommen lassen.

Da ich den beiden nun schon eine Weile Gesellschaft leisten durfte und langsam die Dämmerung hereinbrach, geriet abschließend noch die Frage nach meinem Licht in ihren Fokus. Mein Einwand, dass ich eigentlich vor Hereinbruch der Nacht daheim angelangt wäre, überzeugte sie nicht gerade. Deshalb wurde mir nahegelegt, aus Rücksichtnahme auf meine eigene Unversehrtheit, mit dem öffentlichen Nahverkehr die Heimfahrt anzutreten.

Um weiteren Anzeigen wegen Schwarzfahrens sowie eventueller Sachbeschädigung und Erregung öffentlichen Ärgernisses und einer Privatinsolvenz aus dem Weg zu gehen, bzw. zu fahren, entschied ich mich jedoch dafür, den Heimweg auf dem Fahrrad zu bewältigen.

Ein überdurchschnittlich gelungener Abend.

„Wenn’d was druff hasch, macht dir’s nix aus.“

Nachdem ich gestern bereits von Karlsruhe nach Schaffhausen gefahren war, um die wohl beste Pizza (bzw. mehrere der besten Pizzen) der Welt zu genießen und der Erfindung einer neuen Methode zur Herstellung von Fruchteis beizuwohnen, stand heute die Rückfahrt nach Karlsruhe auf dem Plan. Nach einem bemerkenswert leckeren und umfangreichen Frühstück, das insbesondere durch seinen hohen Sahnegehalt hervorstach, verabschiedete ich mich in bester Stimmung von meinen Gastgebern. Der Wetterbericht sagte für den Nachmittag im Schwarzwald zwar unsicheres Wetter voraus, aber ich war fest davon überzeugt, dass ich trockenen Reifens mindestens bis Freudenstadt kommen würde. Um eine zweite Begegnung mit meinem Frühstück auszuschließen, ließ ich es in Oberlenkerhaltung fahrend, locker angehen und genoss die Sonne.
Meine Hoffnung, dass nur der letzte Teil meiner Tour vom Regen beeinträchtigt sein würde, zerschlug sich leider schon nach weniger als zwei Stunden Fahrtzeit, als zu tröpfeln begann. Das konnte ja heiter werden, dachte ich mir. Das Wetter erwies sich leider als zunehmend weniger heiter und ein stetiger Regen gab sich redlich Mühe mich zu durchnässen. Meine Verärgerung über das Wetter hielt sich zu diesem Zeitpunkt jedoch in Grenzen, denn das Wetter war einfach nur recht pünktlich gewesen. Der Wetterbericht hatte Regen ab dem Nachmittag vorhergesagt und hier und heute wurde mir klar, dass mit „Nachmittag“ per Definition die Zeit des Tages nach 12:00 Uhr mittags bezeichnet wird.
Die Aussicht, die verbleibenden ungefähr fünf Stunden in diesem charakterbildenden Wetter zu verbringen, stimmte mich nicht unbedingt optimistisch. Mental begann ich mich auf heroisches Leiden im Stile der Protagonisten aus „A Sunday in Hell“ einzustellen. Meine vorbildliche Regenausrüstung beschränkte sich auf die obligatorische stilvolle Rennmütze.
Aufgrund eines u(h)rigen Sonnenbrands, den ich mir durch den Verzicht auf mein Präzisionschronometer am Vortag eingehandelt hatte, hatte ich an den betroffenen Stellen Sonnencreme appliziert. Unter den herrschenden Bedingungen ließ diese zumindest das Wasser besser abperlen. Außerdem konnte ich zweifelsfrei verifizieren, dass es sich um eine wasserfeste Sonnencreme handelte. Eine bahnbrechende Erkenntnis auf meinem Weg durch den Regen, der zusehends kühler wurde.
Nachdem es ungefähr eine Stunde geregnet hatte, ließ meine Motivation langsam nach. Als ich an einer offenen Stalltüre vorbeifuhr, begannen meine Gedanken um die großen, plüschigen und vor allem warmen Körper des gutmütigen Milchviehs darin zu kreisen, das einen durchgefrorenen Radsportler sicher gerne in seine Mitte genommen und gewärmt hätte.
Einmal abgestiegen wäre ich wohl nicht mehr weitergefahren und meine Gedanken drehten sich fortan um eine alte Weisheit meines Trainers: „Wenn’d was druff hasch, macht dir’s nix aus.“ Damit war die Frage, ob ich dem Wetter standhalten würde also auf einfache Weise beantwortet worden. Mir einzugestehen, „das“ nicht draufzuhaben, war eindeutig keine Alternative, sodass ich wohl oder übel würde durchhalten müssen. Glücklicherweise zeichneten sich am Himmel links von mir bereits Löcher in der Wolkendecke ab und nährten meine Hoffnung, auf ein baldiges Ende des Regens.
Eine halbe Stunde später wurde ich nur noch von unten nass und anschließend fuhr ich sogar drei Stunden auf trockener Fahrbahn. Der Wind, der mich am Vortag noch einige Nerven gekostet hatte, schob mich nun die Hügel hinauf und zauberte mir ein gequältes Lächeln ins Gesicht. Sogar die Windkraftanlagen lachten mich an, als ich das wellige Terrain in Richtung Freudenstadt in Angriff nahm.
Mittlerweile schwammen auch meine Füße nicht mehr in den Schuhen. Was mich aber bis ins Mark erschütterte, waren die erbärmlichen Schreie nach Öl, die meine vor dem Wochenende erneuerte Kette mittlerweile verlauten ließ.
Glücklicherweise sollte sich dies jedoch bald wieder ändern. Auf den letzten 20 km sorgte erneut einsetzender Regen wieder für eine einwandfreie Schmierung der Kette und ermunterte mich, möglichst schnell nach Hause zu fahren. Rückenwindunterstützt war auch der Schnitt zufriedenstellend und meine Beine fühlten sich noch so munter an, wie es nach knapp 180 km eben geht. Nach etwas weniger als sechseinhalb Stunden Gesamtzeit erreichte ich voller Vorfreude auf eine warme Dusche mein Zuhause samt dem Kühlschrank voller Essen.